Praxistipps für Auditoren

Vorurteilsfrei auditieren

Ohne Vorurteile in jedes neue Audit gehen? Alte Auditerfahrungen und persönliche Wertvorstellungen ausblenden können? Für gestandene Auditoren nicht immer einfach. Wie das gelingen kann, darüber schreiben hier Andrea Kruck und Ina Westphal.

Die DIN EN ISO 19011 fordert von Auditoren, jederzeit objektiv und unabhängig zu sein. Klingt einfach und nachvollziehbar, ist es aber nicht immer. In diesem Artikel beschreiben wir, was Vorurteile bewirken, was kognitive Verzerrungen sind, wie sie entstehen und wie man ihnen als Auditor begegnen kann. Dieser Artikel ist aus unserer Serie “Praxistipps für den Auditoren-Alltag“. Er richtet sich an Auditoren oder die, die es werden wollen. Als Personalberatung in der TIC-Branche (Hellmund. Die Personalberater. ) kennen wir die überfachlichen Anforderungen an den Auditoren-Beruf. Gemeinsam mit unserer Gastautorin, Andrea Kruck, möchten wir Ihnen mit dieser Serie hilfreiche Tipps für den Auditoren-Alltag vermitteln.

Selbst gestandene Auditoren müssen sich mit bewussten oder unbewussten Vorbehalten im Audit auseinandersetzen. Sie sind nicht davor geschützt, dass frühere Erlebnisse/Konflikte auf ein aktuell anstehendes Audit wirken. Das Bauchgefühl, die eigene Intuition spielen eine große Rolle, sind aber nicht immer der beste Ratgeber in einer Auditsituation. Und im Audit auf Menschen zu treffen, mit denen man privat nicht mal gemeinsam ein Bier trinken würde, macht ein vorurteilsfreies Auditieren auch nicht leichter. Was also tun?

Wie entstehen Urteile?

Auditoren sind anforderungsorientiert, nehmen in jedes Audit neben ihren Fach- und Methodenkenntnissen auch ihre Erfahrungen mit: Sie haben Risiken gesehen, verschiedene Branchen und Unternehmenskulturen kennengelernt, umfangreiches Wissen und ein Gespür für Situationen entwickelt. Sie haben sich unzählige Urteile gebildet. Und – ja – auch Vorurteile. Nicht jedes Vor-Urteil ist schlecht, es muss sich allerdings in der Praxis als haltbar erweisen, um zu einem für spätere Audits brauchbaren und hilfreichen Urteil zu werden.
Als Auditor haben Sie sicher schon oft Berichte Ihres Auditoren-Vorgängers gelesen. Nicht immer bleibt Zeit, darüber mit dem Kollegen zu reden. Und wenn, dann bekommen Sie vielleicht den einen oder anderen Kommentar zu hören. »Oh je, dieser Kunde!« Oder: »Bei denen läuft immer alles wie am Schnürchen.« Das kann gehörig vorprägen. Und es kann dazu führen, dass Situationen/Erlebnisse fehlerhaft wahrgenommen, erinnert und schließlich bewertet werden. Daraus entsteht – unbewusst – ein Urteil.

Zum Beispiel so: Sie gehen als Auditor mit der Erwartung in Ihr Audit, dass in diesem Unternehmen alles funktioniert, Sie Ihren Auditplan vielleicht völlig reibungslos abarbeiten können. Oder im Falle des Unternehmens, bei denen Ihr Kollege tief durchatmend ein „Oh je“ ausstieß, erwarten Sie vielleicht das Allerschlimmste. Natürlich fordert die Norm von Ihnen, jederzeit objektiv zu sein. In der Praxis ist das oftmals sehr schwierig und niemand, wirklich niemand, ist davor geschützt, dass er (unbewusst) voreingenommen oder zu eingenommen ist. Denn wenn aus dem Gehörten „Oh je!“ eine Erwartungshaltung wird, die man nur noch überprüfen will, dann nennt man dies eine kognitive Verzerrung („Bias“).

Ein gutes Beispiel ist das „Beharren auf Überzeugungen“. Es bedeutet, dass der Auditor hartnäckig an einer ersten Hypothese in Bezug auf das, was er vorab gehört hat, was er im Audit sieht, festhält und nach Beweisen für seine Hypothese sucht. Auch dann, wenn neue Informationen dieser Überzeugung widersprechen. Im schlechtesten Fall werden die neuen und widersprechenden Informationen so lange umgeformt und passend gemacht, bis sie die Hypothese vermeintlich stärken. Spätestens jetzt wird aus einer fehlerhaften Wahrnehmung, einem Vorab-Urteil ein handfestes Problem.

Ein anderes Beispiel: Wenn Sie an ein Audit entweder zu positiv rangehen: »Bei denen ist alles in Ordnung, da muss ich gar nicht so genau hingucken.« (Ergebnisvorwegnahme) Oder gar zu negativ. »Na, das sah ja letztes Jahr ziemlich schlecht aus bei denen.« Vieles kann sich jedoch verändert haben, wenn der Auditkunde nach einem Jahr wieder besucht wird. Zum Besseren, aber auch zum Schlechteren.

Welche kognitiven Verzerrungen (Bias) können im Audit auftreten? (Auswahl)

Unbestritten ist, dass Auditoren sachlich und unabhängig Informationen bewerten und als Person integer und objektiv sein sollten. Doch die verzerrte Wahrnehmung unserer Umwelt gehört für uns alle zum Alltag, ob im Umgang mit komplexen Informationen oder mit Menschen.

Kognitive Verzerrungen in Bezug auf Informationen

Ankereffekt - beschreibt die Neigung, Entscheidungen und Urteile auf Basis der ersten wahrgenommenen bzw. einer hervorstechenden Information oder anderer Umgebungsreize (Anker) zu treffen.
Bumerang-Effekt – bezeichnet die Neigung, Fakten, die der eigenen Überzeugung widersprechen, als Bestätigung der eigenen Überzeugung zu sehen.
Überzeugungsbias – beschreibt die Tendenz von Menschen, glaubwürdig wirkende Aussagen für wahr zu halten.
Bestätigungsfehler – Informationen werden so (selektiv) ausgewählt und interpretiert, dass sie die eigenen Erwartungen bestätigen.
Clustering Illusion – Zufällige Muster, die in größeren Datenmengen zwangsläufig vorkommen, wird eine Bedeutung bzw. ein Sinn beigemessen.
Rückschaufehler - beschreibt ein Phänomen, dass sich Menschen nach dem Ausgang eines Ereignisses falsch zurückerinnern, weil sie das Ergebnis kennen (nachträgliche Einsicht).
Wahrheitseffekt – Tendenz, Aussagen/ Informationen, die man früher bereits gehört/gelesen hat, einen höheren Wahrheitsgehalt beizumessen als denen, die man erstmals hört.

Kognitive Verzerrungen in Bezug auf Menschen

Halo-Effekt- beschreibt die Tendenz, von bekannten (positiven) Eigenschaften eines Menschen auf dessen unbekannte Eigenschaften zu schließen und damit auf die gesamte Persönlichkeit abstrahlen zu lassen.
Benjamin-Effekt – Tendenz, jungen Menschen, wegen ihres Alters oder kurzen Berufserfahrung (ungeachtet ihrer tatsächlichen Leistung) weniger zuzutrauen und sie deutlich strenger zu beurteilen.
Hierarchie-Effekt- beschreibt das Phänomen, dass der soziale Status einer Person das Urteil, das über sie gefällt wird, beeinflusst.
Overconfidence-Effekt – beschreibt die Tendenz, in Entscheidungs- oder schwierigen Situationen sich selbst zu überschätzen in Bezug auf Leistung, Fähigkeiten oder Wissen.
Attributionsfehler – beschreibt die Neigung von Menschen, ein beobachtetes Verhalten von handelnden Personen mit einer Charaktereigenschaft desjenigen gleichzusetzen.
Verzerrungsblindheit (bias blind spot) – Tendenz, sich selbst für unbeeinflusst oder zumindest wenig beeinflusst/unabhängig zu halten.

Wie können Sie Ihre Objektivität im Audit gewährleisten und bewussten wie unbewussten eigenen Vorurteilen begegnen? Um es mit einem Bild zu beschreiben: Jeder Auditor hat einen Methodenkoffer. Darin befinden sich Kenntnisse, Erfahrungen und normative Vorgehensweisen, aber auch im besten Fall Werkzeuge, Übungen und Hilfsmittel für kritische oder besonders vielschichtige Situationen und Problemstellungen.

Tipps für den Audit-Methodenkoffer

  1. Finden Sie schon bei der Auditplanung heraus, wer ihre Gesprächspartner sein werden. Mit welchem Gesprächspartner hatten Sie Konflikte, die Ihr Wertegefüge empfindlich gestört haben, so dass Ihre Unparteilichkeit berührt wird?

  2. Halten Sie die erlebte Situation kurz fest: Habe ich voreilig geschlussfolgert? Und liegen mir alle wesentlichen Informationen vor, die das Urteil begründen?

  3. Wenn Sie sich nicht sicher sind: Was verstellt mir gerade meinen Blick? Ist es der Gesprächspartner, ist es die Situation, ein Satz im Gespräch? Was genau und warum „triggert“ mich das gerade? Welche Fakten stützen diese Wahrnehmung und was spielt sich eher auf der Gefühlsebene ab?

  4. Tragen Sie weitere Informationen zusammen, befragen Sie weitere Auditteilnehmer, tauschen Sie sich ggf. mit Ihrem Co-Auditor aus. Gleichen Sie Gehörtes, Gesehenes und Gelesenes vor dem Audit mit eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen im Audit ab. Was nehme ich konkret wahr? Wo gibt es Abweichungen? Welche Auswirkungen haben diese Abweichungen? Welche Konsequenzen ergeben sich für mich daraus?

  5. Fragen Sie sich: Bin ich noch wertschätzend oder schon defizitorientiert unterwegs?

"Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es in fast allen Audits sinnvoll ist, die Geschichten, Vorurteile, bisherigen Erfahrungen vor dem Audit systematisch auszublenden. Das gelingt mir durch einen kleinen psychologischen Trick. Sobald ich zu einem Audit fahre und das Gebäude des Kunden betrete (dann bin ich in der Regel ja noch allein mit mir und meinen Gedanken), halte ich bewusst kurz inne. Ich denke mir einen imaginären Papierkorb, den ich öffne und all das dort hineinlege. Dann erst betrete ich das Gebäude. Nach dem Audit nehme ich alles wieder heraus und schau mir das nochmals an. Ich prüfe, ob alles, was an Informationen, Urteilen, Vorurteilen im Papierkorb liegt, überhaupt noch tragfähig ist."

Andrea Kruck

Diese Praxistipps stärken Auditoren u.a. in den folgenden Kompetenzbereichen gemäß der DIN EN ISO 19011

Autonomie - sich unabhängig Urteile bilden

Offenheit - aufgeschlossen und bereit sein für alternative Standpunkte

Soziales Gespür - aufnahmefähig sein, Perspektiven anderer einnehmen

Reflexionsfähigkeit - offen für Verbesserungen sein

Fazit

Das Wissen, dass als Auditor eine Vielzahl kognitiven Verzerrungen eintreten können und frühere Auditerfahrungen unsere Wahrnehmung beeinflussen, ist der wichtigste Erkenntnis-Schritt für einen Auditor. Akzeptieren Sie, dass Sie ihr eigenes Weltbild mitbringen. Bewahren Sie sich dabei die Fähigkeit, dieses Weltbild immer wieder zu hinterfragen. Wenn man morgens vor dem Audit denkt: »Jetzt gehe ich in diese Schrauberbude.«. Dann sollten Sie kurz innehalten. Bewahren Sie sich die Fähigkeit, Ihre Eindrücke und Erwartungen mit der Praxis abzugleichen. Seien Sie bereit, im Zweifelsfall Ihre Meinung grundlegend zu revidieren. Das ist keine Schwäche, sondern im Gegenteil steht es für große Professionalität. Bewahren Sie sich als Auditor deshalb immer Ihren frischen Blick!

Was können Prüfdienstleister und Unternehmen tun, um ihre internen oder externen Auditoren zu unterstützen?

Die DIN EN ISO 19011 (Anforderungen für alle Auditoren) stellt klar: Auditoren sollen so ausgewählt werden, dass sie die Objektivität und Unparteilichkeit des Auditprozesses sicherstellen. Es gibt für die Aus- und Weiterbildung von Auditoren in der Praxis Gruppen und Treffen für den regelmäßigen Erfahrungsaustausch. Doch die Praxis zeigt, es gibt bei Auditoren einen hohen Gesprächs- und Entwicklungsbedarf. Machen Sie deshalb das Thema kognitive Verzerrungen und unbewusste/bewusste Vorteile zum Thema. Bieten Sie Ihren Auditoren Schulungen und/oder Einzelcoachings oder eine Kollegiale Fallberatung an. Wenn Sie mit uns das Thema vertiefen möchten oder nach Möglichkeiten der Auditoren-Entwicklung suchen, wir beraten Sie gern.

Zu den Autorinnen der Reihe
Für die 10-teilige kollaborative Beitragsserie „Praxistipps für den Auditoren-Alltag“ freuen wir uns, mit einer Gastautorin zusammenzuarbeiten, die sich mit großer Leidenschaft für die Weiterbildung von Auditoren einsetzt und praxisnah aus dem Alltag berichtet.

Andrea Kruck hat viele Jahre als Auditorin, Trainerin und Coach bei namhaften Unternehmen der Prüfdienstleistungsbranche gearbeitet. Sie war als Trainerin und Akademieleiterin für die Auditorenaus- und weiterbildung maßgeblich verantwortlich. Folgen Sie Andrea Kruck in LinkedIn

Ina Westphal ist Personalberaterin und Geschäftsführerin von Hellmund. Die Personalberater. Sie besetzt seit vielen Jahren Führungs- und Expertenfunktionen in der TIC-Branche und in Qualitäts- und Nachhaltigkeitsabteilungen bei Unternehmen. Ein Schwerpunkt und Herzensthema ist für sie der Auditorenberuf. Folgen Sie Ina Westphal auf LinkedIn.

Vorschau
Im 2. Beitrag “Widerstände im Audit überwinden” können Sie nachlesen, wie man unerwarteten Widerständen auf der Seite der Auditierten begegnet und es gelingt, eine offene Atmosphäre zu schaffen.