Fachkräftesituation TIC-Branche

„Überfachliche Kompetenzen von Auditoren werden bisher unterschätzt.“

Andrea Kruck arbeitete viele Jahre als Trainerin, Beraterin und Coach. Neben Trainings zu ISO-Normen bildete sie 1st-, 2nd- und 3rd party-Auditoren aus und weiter. Sie kennt die Herausforderungen der Branche, die Anforderungen an den Beruf und die anstehenden Aufgaben. Die Bedeutung von Soft Skills werde jedoch in der Ausbildung und bei der Auswahl von Auditoren oft nicht ausreichend berücksichtigt.

Frau Kruck, Sie sind seit vielen Jahren in der TIC-Branche und waren als Trainerin und Coach tätig. Sie sind auch selbst Auditorin. Was vermuten lässt, dass Sie die Herausforderungen für alle, die diesen Beruf ausüben, gut kennen. Wie haben sich denn die Anforderungen an diese Arbeit verändert?

Ich bin seit 1990 Auditorin. Die TIC-Branche kenne ich seit 2015. Die Anforderungen an Managementsysteme haben sich über die Jahre sehr verändert, sind sehr viel stärker auf wirksame Führungsprozesse ausgerichtet. Für Auditoren bedeutet dies: Sie müssen in der Lage sein, diese Führungsprozesse und stärker als bisher, die Wirksamkeit der Managementsysteme zu auditieren. Das ist vor allem für interne Auditoren eine Herausforderung.

Warum?

Manch eine Führungskraft lässt sich gerade von internen Auditoren, die in der Hierarchieebene »unter« ihnen sind, nicht gern in die Karten schauen. Außerdem sind Führungskräfte selbst in internen Audits oft bemüht, ihren Bereich »makellos« darstellen zu wollen. Damit nehmen sich Unternehmen die Chance, Prozessschwächen, Risiken und Verbesserungspotenziale zu erkennen. Gerade einige »alte Hasen« auditieren so, wie sie es von Beginn an gewohnt sind, und merken nicht, dass sie damit Anforderungen aus der High Level Structure der Managementsystemnormen schlichtweg nicht auditieren. Das eigene Auditverhalten zu reflektieren ist nicht einfach, besonders wenn es keinen kollegialen Austausch oder Feedback von außen dazu gibt

Man braucht sicher auch andere soziale Kompetenzen, wenn man auditierend an die Spitze in der Hierarchie eines Unternehmens geht.

Führungskräfte sind eine Zielgruppe, die normalerweise die Fragen stellt und Antworten bekommt. In der Audit-Situation ist es aber komplett umgedreht, der Auditor stellt die Fragen. Das kann zu schwierigen Situationen führen, die ich in Trainings auch immer wieder thematisiere. Man muss aufpassen, dass Führungskräfte nicht unbewusst die Gesprächssituation umkehren. Weil sie es so gewohnt sind. Das haben viele nicht auf dem Schirm.

Welchen Urteilen oder auch Vorurteilen gegenüber 3rd party-Auditoren sind Sie im Laufe der Jahre begegnet?

(Vor)urteile gegenüber Auditoren sind nach meiner Erfahrung oft mit der Geringschätzung von Audits als »lästiges Übel« verknüpft und richtet sich dann stellvertretend an die Auditoren. Sprüche wie: »Sie haben es gut: den ganzen Tag komische Fragen stellen und Kaffee trinken möchte ich auch mal«, darf man als Auditor gelassen nehmen. Dieser Ausspruch kam tatsächlich mal von einem Geschäftsführer, der dann aber wagemutig an einem Auditoren-Training teilgenommen hat und zugab »Auditieren ist ja wirklich anstrengend«.

Ein anderes Vorurteil, mal ganz praktisch erzählt: Sie kommen in ein Unternehmen und die Dame am Empfang begrüßt Sie mit den Worten: »Ach, Sie sind die Prüferin!« Da gehen alle Gesichtszüge runter, der Geschäftsführer steht schon auf Krawall gebürstet vor Ihnen. Das speist sich manchmal aus Erfahrungen vorheriger Audits, wenn Auditoren doch zu »oberlehrerhaft« gewesen sind. Dazu kommt das Vorurteil, Auditoren könnten nicht unabhängig sein, weil: Die werden ja von dem Unternehmen, das sie auditieren, bezahlt. Das ist eine schlimme Form der Diskreditierung. Ich glaube, Auditoren werden manchmal geliebt und ganz oft aber auch geringgeschätzt. Das kann auch mit ihrem Verhalten zu tun haben. Um es positiv auszudrücken: Wenn man wertschätzend unterwegs ist, den Unternehmen auch Bestätigung gibt für das, was gut läuft, wenn man ihnen das Gefühl gibt, sie lernen etwas, diese Aha-Effekte erzeugen kann, dann sehen die einen als Experten an und dann ist man auch gern gesehen.

"Auditoren müssen künftig in der Lage sein, sowohl Führungsprozesse als auch die Wirksamkeit der Managementsysteme zu auditieren. Das ist vor allem für interne Auditoren eine Herausforderung."

Andrea Kruck

Die Vorteile eines First-party-Audits oder Second-Party-Audits liegen auf der Hand. Sie haben das mal kurz beschrieben mit: Fehlerkosten erkennen, Haftungsrisiken minimieren, Verbesserungspotenziale identifizieren. Anders verhält es sich mit dem Third-Party-Audit, oder? Das wird oft weniger als Dienstleistung und Zugewinn betrachtet.

Unternehmen, die wirksame interne Audits machen oder ihre Lieferanten mit den Audits in den Blick nehmen – 1st und 2nd – wissen um die Vorteile, die liegen auf der Hand.
3rd Party Audits sind Zertifizierungsaudits, mit denen Unternehmen die Zertifizierung erlangen können. Manchmal ist der Antreiber dafür der Kunde, der das fordert, um als Lieferant zugelassen zu werden. Ich bin aber auch auf eine Vielzahl von Unternehmen gestoßen, die Managementsysteme, deren Zertifizierung und Auditierung als Gewinn empfinden. Auch hier gibt es eine Verknüpfung zur erlebten Auditkultur. Auditierende, die »Defizite« wertschätzend an den Mann und an die Frau bringen, tragen zu einer höheren Akzeptanz von Managementsystemen bei.

Zertifizierung ist inzwischen nicht nur mehr ein Label, das man für gutes Marketing haben möchte. Gibt es da einen Bewusstseinswandel bei den Unternehmen, dass es mehr ist als ein Zwang oder eine Marketingmaßnahme?

Meine Erfahrung sagt: Die Unternehmen sind da sehr unterschiedlich unterwegs. Diese Managementsysteme haben immer darauf abgezielt, die Haftungsrisiken zu minimieren, die Zufriedenheit von Stakeholdern zu steigern – also Kunden, Mitarbeitenden, Geschäftspartnern – und für Effizienz und wirtschaftliche Abläufe zu sorgen. Managementsysteme werden aber aufgrund ihrer Geschichte als sehr bürokratisch empfunden. Und Auditoren stehen oft als Repräsentanten dieser Bürokratie. Wenn die dann auch noch bürokratisch auditieren, ist das zementiert. Für lange Zeit. Unternehmen, die diese Erfahrung mit Audits gemacht oder selbst ein überbürokratisiertes Managementsystem haben, sind froh, wenn sie – etwas augenzwinkernd gesagt – den Zettel an die Wand bekommen. Es gibt aber immer mehr Unternehmen, die sagen: Wir nutzen das als Möglichkeit, uns fortlaufend weiterzuentwickeln. Die haben verstanden, worum es geht. Also, die einen tragen Managementsysteme wie einen schweren Rucksack, und die anderen füllen diesen Rucksack mit so tollen und nützlichen Dingen, dass sie damit neue Wege gehen können.
Nun kommen in den Managementsystemen immer höhere und mehr Anforderungen von den Kunden. Es kann sein, dass ein Kunde sagt: Du musst jetzt auch noch ein Managementsystem im Arbeitsschutz implementieren, wenn ich dein Kunde bleiben soll. Das muss nicht immer für das Unternehmen sinnig sein. Weil es entweder zu klein oder das schon längst gelebte Arbeitskultur ist. Dann kann das Erlangen des Zertifikats als eine Last und kostspielig empfunden werden.

Eine große Herausforderung für die TIC-Branche?

Auf jeden Fall, es sind immer mehr Normen, immer mehr Anforderungen für die Unternehmen. Da gibt es dann möglicherweise eine Delle in der Akzeptanz. Und dann werden die Audits für Unternehmen auch zunehmend eine Pflichtveranstaltung.
Was viele Unternehmen vergessen: Die ISO-Managementsystem-Normen werden von der Wirtschaft für die Wirtschaft geschrieben. Manchmal wird der Frust darüber stellvertretend bei Auditoren abgeladen. Wir sind jedoch für die inhaltlichen Anforderungen gar nicht verantwortlich. Ich habe den Eindruck, dass sich dieses Akzeptanzproblem bei Zunahme an Managementsystemen verschärft.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Unternehmen verfügen oft über Managementsysteme, die Anforderungen von mehr als einem ISO-Standard beinhalten. Wenn ein mittelständisches Unternehmen neben dem Qualitätsmanagement noch Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Energiemanagement aufrechterhält, bringt das sicher einen Nutzen, ist aber auch zeit- und ressourcenintensiv. Ich höre immer häufiger, dass sich Unternehmen damit überfordert fühlen, und befürchte mittel- bis langfristig einen Reputationsverlust.

"Ich glaube, Auditoren werden manchmal geliebt und leider ganz oft auch geringgeschätzt. Wenn man wertschätzend unterwegs ist, den Unternehmen Bestätigung gibt für das, was gut läuft, wenn man ihnen das Gefühl gibt, sie lernen etwas, das Aha-Effekte erzeugen kann, dann sehen Unternehmen einen als Experten an und dann ist man auch gern gesehen."

Andrea Kruck

Wenn man sich den Seminarmarkt anschaut, findet man die Weiterbildung im Bereich Normenanforderungen, Auditoren-Fachausbildung usw. Äußerst selten allerdings Ausbildungen im Bereich überfachliche Kompetenzen, die die Persönlichkeit des Auditors in den Blick nehmen. Warum ist das so?

Die Anforderungen an Auditierende sind in der ISO 19011 und für 3rd party-Auditoren zusätzlich in der ISO 17021 beschrieben. Dazu gehören technische Kenntnisse (zum Beispiel die Anforderungen der Normen, der Prozesse, der Branche) und Kenntnisse der Auditmethodik (z.B. nach ISO 19011, 17021). Darüber hinaus sollen Auditoren auch über bestimmte Persönlichkeitsmerkmale verfügen, zum Beispiel Integrität, Durchsetzungsvermögen. Der Schwerpunkt der Auditorenausbildung liegt auf der Normenkenntnis und der Auditmethodik/ Akkreditierungsregeln. Die »persönliche« Eignung kommt leider manchmal erst beim »Tun« ans Licht. Anders als beim Auto-Führerschein gibt es bei der Auditorenausbildung oft keinen Auditorenschein zur Probe. Den Luxus der schrittweisen Qualifizierung leisten sich meines Erachtens eher Unternehmen, die sehr reife interne Auditsysteme haben. Zertifizierungsstellen haben Einarbeitungsphasen, in denen neue Kollegen »bewertet entwickelt« werden.
In Trainings habe ich es auch erlebt, dass Teilnehmer nach Rollenspielen festgestellt haben, »dass dieser Job nichts für mich ist«. Andere Teilnehmer wiederum haben Fähigkeiten an sich entdeckt, von denen sie selbst positiv überrascht waren. Ich hatte häufig in Trainings den Eindruck, dass überfachliche Qualifikationen im Vorfeld bei der Auswahl potenzieller Teilnehmer wenig im Fokus stand, sondern eher technische Kompetenzen, zum Beispiel Alter als vermeintlicher Indikator für »Standing« und die inhaltliche Nähe zum Thema Managementsysteme.

Und das stimmt so nicht?

Die Überfachlichkeit bei Sozialkompetenzen wird aus meiner Sicht unterschätzt, z.B. Gesprächsführung, Konfliktmanagement, nonverbale Kommunikation, Wahrnehmung, komplexe Sachverhalte beurteilen, wenn man zum Beispiel drei Normen gleichzeitig auditiert. Angenommen der Auditor stellt eine Frage. Es kann sein, er muss dem Gegenüber die gewünschten Informationen »aus der Nase ziehen« oder aus einem gefühlten halbstündigen Referat die relevanten Informationen herausfiltern.
Das Verständnis dafür zu schulen, warum unterschiedliche Auditoren auch unterschiedliche Schlüsse ziehen, da fehlt es noch an Sensibilität. Die Erkenntnis, dass diese überfachlichen Skills, so sie nicht ausreichend vorhanden sind, eben auch zu Messfehlern führen können, muss sich erst noch durchsetzen.

Das sind hohe Anforderungen an Auditoren.

Stimmt. Die Grundvoraussetzung ist aus meiner Sicht, dass ein Auditor Selbstreflexion braucht. Also Methoden und Strategien, wie man während des Audits wissen kann, wo man im Prozess steht, wie das Verhalten, die Grundstimmung ist, wie nah oder weit weg man an seinen Auditzielen ist, was man möglicherweise nicht sieht, um dann entsprechend Rückfragen zu stellen. Das sind Qualitäten, die man auch als Führungskraft braucht. Es ist für die Auditierten ebenso wichtig, ob jemand wertschätzend ist, nicht nur die Defizite adressiert, sondern auch die Erfolge. Viel hängt also von der inneren Haltung des Auditors ab.

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Unklar, welcher Begriff was meint?

Hier geht’s zum TIC-Glossar, das wichtige Begriffe aus der Prüfdienstleistungsbranche - und rund ums Audit - einfach erklärt.

In der eigentlichen Arbeitssituation sind Auditoren dann aber doch Einzelkämpfer. Das macht es sicher schwer.

Es gibt während des Audits wenig Möglichkeiten, sich kollegial auszutauschen. Bei größeren Audits ist man zwar mit Kollegen unterwegs, aber jeder auditiert seinen Teil. Als leitende Auditorin habe ich es gern so gehalten, dass nicht immer der gleiche Bereich auditiert wird, sondern Blickwechsel möglich sind, also man auch in andere Abteilungen geht. Wenn die Stärke der einen das Operative ist, des anderen das Strategische, dann passt es ja und ergänzt sich hervorragend. Es ist wirklich nicht einfach, ohne Vorurteile, mit einer inneren Haltung der Wertschätzung und mit immer frischem Blick an die nächste Aufgabe ranzugehen. Aber man kann das lernen.

In der Branche sind weiterhin zu wenig Frauen unterwegs. Woran liegt das?

Repräsentativ kann ich das nicht sagen. Als ich so um 2010 herum Lieferantenaudits gemacht habe, war ich in der Schienenfahrzeugindustrie tätig. Da bin ich mit einer Kollegin zu einem Audit gefahren, stieg mit ihr aus dem Auto und der Geschäftsführer begrüßte uns mit den Worten. »Oh, Sie sind ja eine Frau!« Die TIC-Branche insgesamt ist relativ konservativ. Die Strukturen passen eher zu Männern. Ich glaube, viele Frauen trauen sich das nicht zu. Und das ist noch heute oft ein Grund, sich nicht für den Beruf zu entscheiden. Dabei bin ich überzeugt, dass viele Frauen »anders« auditieren, sehr viel wertschätzender. Man sagt Frauen ja auch nach, sie führten anders.

Gibt es da Bewegung zum Besseren?

Doch: Ich sehe hier auch Veränderung, d.h. der Anteil an Frauen nimmt gefühlt zu. In Trainings wirkten Frauen auf mich oft zurückhaltender. Wenn es dann aber in den Rollenspielen zur Sache ging, war ich von der Auditqualität manchmal überrascht. Gerade für die Auswahl von internen und Lieferanten-Auditoren kann ich Unternehmen nur empfehlen, auch unter den Frauen nach Kandidatinnen zu schauen. Soziale Kompetenzen lassen sich schwerer »aneignen« als »technisches Wissen«. Und das trifft natürlich auf alle Geschlechter zu. Ein wichtiger Schritt wäre, dass die überfachlichen Skills ein stärkeres Kriterium für die Auswahl von Auditoren sein müssten. Eine Auditoren-Ausbildung könnte ein Meilenstein bei der Personalentwicklung von Nachwuchsführungskräften, also eine Investition in die Zukunft sein. Werden soziale Kompetenzen dabei berücksichtigt, hat der Kandidat alles, was es braucht, um später auch eine gute Führungskraft zu sein.

Der Fachkräftemangel trifft die TIC-Branche genauso wie alle anderen Branchen. Der Anteil der Reisetätigkeit ist hoch, der Job des Auditors anspruchsvoll und stressiger, als manch einer glaubt. Familienfreundlichkeit ist aber zum Beispiel steuerbar, wenn Auditoren freiberuflich tätig sind. Denn natürlich gilt auch für diese Branche: Der Fachkräftemangel ist immens. Es braucht vor allem die Unternehmen, die Frauen mehr zutrauen, ermutigen und auch Angebote unterbreiten, wie sich alles vereinbaren lässt. Eine Auditoren-Ausbildung, gerade auch für Frauen, ist eine Investition in die Zukunft.

Zur Person:

Andrea Kruck ist Ingenieurin und arbeitete 15 Jahre in der Automobil- und Schienenfahrzeugindustrie in den Bereichen Forschung, Marketing, Six Sigma, Projektmanagement und Qualitätsleistung. Es folgten zwei Jahre in der Kunststoffverarbeitenden Industrie als QEHS-Leiterin und sechs Jahre als leitende Auditorin für die Normen ISO 9001, 14001, 45001, 50001 sowie als Trainerin und Beraterin bei Prüfdienstleistern.

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