„Nicht alles, was wir gern mitteilen würden, können wir breit kommunizieren“

Warum es für die Kommunikation über Medizintechnik einen fein eingestellten inneren Kompass braucht, erklärt Michaela Rau.

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Frau Rau, welche Herausforderungen haben Sie im Bereich Medizintechnik kommunikativ zu bewältigen?
Medizintechnik ist ein zentraler Baustein für die Gesundheitsversorgung. Dabei sind Zulassung, Markteinführung und auch die Finanzierung der Medizinprodukte stark reguliert. Gleichzeitig sind wir eine hochinnovative Branche mit kurzen Produktzyklen und einem hohen Wettbewerbsdruck. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld für die externe Kommunikation. Neben der Kenntnis dieser Marktbedingungen ist meiner Meinung nach aber auch so etwas wie ein innerer Kompass für die Kommunikation hilfreich.

Was sagt Ihnen dieser innere Kompass?
Nicht alles, was wir gern mitteilen würden, sollte mit Blick auf die Wahrnehmung und Wirkung in der breiten Öffentlichkeit kommuniziert werden. Stellen Sie sich vor, dass wir ein neues Medizinprodukt auf den Markt bringen, das nachweislich Vorteile für den Patienten mit sich bringt, indem zum Beispiel die OP-Zeit viel kürzer als bisher ist oder der Patient nach dem Eingriff früher wieder nach Hause kann. Aus Marketingsicht liegt es nahe, diese tolle Neuigkeit breit in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Produkt ist jedoch nur einsetzbar für ein eng abgestecktes Krankheitsbild. Die Entscheidung, ob das Produkt für den individuellen Patienten geeignet ist, trifft also der Arzt. Das heißt: Auch wenn wir gerne vom „mündigen Patienten“ träumen, der sich autark für ein Medizinprodukt entscheidet, würden wir hier Hoffnungen bei einer großen Gruppe von betroffenen Menschen wecken, die nachher aufgrund des Krankheitsbildes nicht in Frage kommen und enttäuscht werden. Zudem würden wir den Ärzten eine Menge von Patientengesprächen bescheren, in denen er Patienten erklären müsste, warum sie für das Produkt nicht geeignet sind.

„Wir haben es mit vielen verschiedenen Zielgruppen zu tun. Unsere externe Kommunikation richtet sich an die Ärzte und Anwender der Produkte, an den strategischen Einkauf und an Politik, Behörden und Krankenkassen.“
Michaela Rau

Wie hat sich dieser Bereich der externen Kommunikation in den vergangenen Jahren entwickelt?
Wir haben es mit vielen verschiedenen Zielgruppen zu tun. Externe Kommunikation ist heute weit mehr als Marketing, Kommunikation und die positive Darstellung von Produktfeatures. Zum einen sind die Anwender unserer Produkte, die Klinikärzte, oft nicht mehr die Entscheider über den Kauf. Heute dominieren Einkaufsgemeinschaften den Einkauf von Medizinprodukten in den Kliniken. Dazu kommt: Rund 90 Prozent der deutschen Bevölkerung sind gesetzlich krankenversichert. Als Hersteller sind wir darauf angewiesen, dass unsere Technologien durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Unsere externe Kommunikation richtet sich also an die Ärzte und Anwender der Produkte, an den strategischen Einkauf und an Politik, Behörden und Krankenkassen. Neben der Zusammenarbeit mit den Kollegen aus dem Produktmanagement wird die Zusammenarbeit mit den Experten für Public/Governmental Affairs und dem so genannten Reimbursement (die den Kollegen, die für die gesundheitspolitische Kosten- und Erlösbetrachtung zuständig sind), immer wichtiger., um Informationen vor dem Hintergrund aktueller gesundheitspolitischer Entwicklungen für die jeweilige Zielgruppe aufzubereiten.

Welche Erfordernisse ergeben sich daraus für diejenigen, die die Kommunikation und PR vertreten?
Dafür ist auf Kommunikationsseite ein sehr gutes Wissen über den Gesundheitsmarkt und die gesundheitspolitischen Mechanismen von Vorteil sowie ein Verständnis für die Interessen der unterschiedlichen Akteure, um wirklich zielgerichtet kommunizieren zu können.

Wie verändern die rasanten digitalen Entwicklungen Ihren Aufgabenbereich und die Art der Kommunikation?
Die Digitalisierung hat die Unternehmenskommunikation sehr verändert und unsere Möglichkeiten, mit unseren Zielgruppen direkt in Kontakt zu treten, um ein Vielfaches vergrößert. Bevor man neue Kanäle öffnet, muss man sich fragen, ob man in Regelmäßigkeit relevante Informationen für die Nutzer liefern kann. Zudem eröffnet man in sozialen Medien einen Dialog. Man sollte mit Antworten und Kommentaren rechnen und – mit Blick auf Konzernstrukturen – autorisiert sein, auf Augenhöhe und schnell zu reagieren. Wir haben in der Abteilung zwei Kolleginnen, die sich vorrangig um die Digital- und Social-Media-Aktivitäten kümmern und hier sehr viel Expertise haben.

„Ich finde es erstaunlich, wie viele Manager heute immer noch glauben, dass sie Veränderung von oben nach unten verordnen können.“
Michaela Rau

Welchen Beitrag kann und muss Unternehmenskommunikation in den kommenden Jahren leisten angesichts der Veränderungen, die schon heute absehbar sind?
Im Laufe meiner Karriere habe ich bereits bei einigen international tätigen Konzernen gearbeitet, die sich alle durch komplexe Matrixstrukturen auszeichnen. Mitarbeiter sind in diesen Strukturen oft „Diener zweier Herren“, da sie fachlich und disziplinarisch an unterschiedliche Manager berichten. Die Matrixorganisation stellt hohe Anforderungen an Manager und Mitarbeiter. Die Schlüsselkompetenz ist eindeutig Kommunikation. Zudem: Veränderungen und Restrukturierungen sind in den großen Unternehmen an der Tagesordnung. Dabei finde ich es erstaunlich, wie viele Manager heute immer noch glauben, dass sie Veränderung von oben nach unten verordnen können. An dieses rational-lineare Vorgehen haben wir uns leider durch den häufigen Umgang mit großen Unternehmensberatungen gewöhnt. Es klingt ja auch alles ganz logisch: Nach einer Analysephase der Probleme werden von einem kleinen Kreis (externer) Berater Lösungen erarbeitet, die dann von den betroffenen Mitarbeitern umgesetzt werden sollen. Das Problem: Die Umsetzung erfolgt häufig nicht, da sie von den Betroffenen nicht selbst erarbeitet wurde.

Wie geht es besser?
Ich halte eine Arbeitsweise, die auf Prozessberatung und Partizipation der internen Experten und Betroffenen ausgelegt ist, für sinnvoller. Das setzt allerdings ein Vertrauen in die Organisation und ihre Ressourcen, die sie für die Veränderung benötigt, voraus. Ich würde mir wünschen, dass die Unternehmenskommunikatoren bei solchen Projekten eine größere Rolle spielen würden.

Zur Person
Michaela Rau hat ein Magisterstudium der Politikwissenschaften in Marburg und Cáceres (Spanien) sowie später ein berufsbegleitendes Aufbaustudium der Gesundheitswissenschaften in Bielefeld absolviert. Nach einem klassischen PR-Berufseinstieg über ein Agenturvolontariat entdeckte sie die Medizintechnikbranche für sich. Stationen waren unter anderem Zimmer, Smith & Nephew und Medtronic, wo sie zuletzt als Pressesprecherin tätig war. Darüber hinaus ist sie ausgebildeter systemischer Coach und Organisationsentwicklerin und unterrichtet nebenberuflich als Lehrbeauftragte für Change Management und Organisationsentwicklung an der FH des Mittelstandes in Köln.