„Je weniger Fachkräfte verfügbar sind, desto eher öffnen sich die Firmen“

@ Foto privat

Über Chancen für Quereinsteiger sowie die Bedeutung von Weiterbildung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen spricht Karolin Helmich. Sie arbeitet als Integrationsberaterin für die Bundesagentur für Arbeit in Potsdam.

Frau Helmich, Sie beraten seit mehreren Jahren arbeitssuchende und arbeitslose Menschen im Team INGA der Bundesagentur für Arbeit (BA). Welche Kompetenzen und Fähigkeiten oder persönlichen Umstände der Arbeitssuchenden nehmen Sie besonders in den Blick?

Ich nehme mir die Zeit, die Lebenssituation des Menschen, der mir gegenübersitzt, zu verstehen. Dazu können private Lebensumstände gehören wie Familie und Partnerschaft, Kinder und deren Betreuung, pflegebedürftige Angehörige, private Netzwerke, Wohnsituation oder finanzielle Voraussetzungen, die im Hinblick auf eine Arbeitsaufnahme wichtig sind. Und ich lasse mir immer ausführlich das letzte Arbeitsverhältnis und die Umstände, die zur Beendigung desselben führten, beschreiben. Gemeinsam werden dann individuelle und möglichst keine allgemeingültigen Stärken erarbeitet. Hierbei unterscheide ich fachliche und soziale Fähigkeiten. Die Konzentration auf die Befähigungen des Menschen ist für mich von zentraler Bedeutung. Ich unterstütze arbeitssuchende und arbeitslose Menschen ganzheitlich und nicht punktuell.

Was ist INGA?

INGA ist die Kurzform für „Interne ganzheitliche Integrationsberatung“. In dem Bereich der Bundesagentur für Arbeit werden arbeitsuchende und arbeitslose Menschen durch besonders qualifizierte und erfahrene Beraterinnen und Berater in persönlichen Gesprächen und durch Seminare unterstützt. Der ganze Mensch mit all seinen individuellen Rahmenbedingungen wie familiären, sozio-ökonomischen und gesundheitlichen Konditionen steht hierbei im Fokus. Bestandteile und Leistungen des Bereiches sind unter anderem:

  • gemeinsame Strukturierung der persönlichen Situation,

  • berufliche (Neu-)Orientierung oder Perspektiven,

  • Nutzen verschiedener Netzwerke (extern),

  • Austausch mit anderen Fachbereichen (intern: Arbeitgeberservice, Berufsberatung, Psychologischer Dienst, Ärztlicher Dienst etc.),

  • eine Stärken- und Zielanalyse,

  • Förderleistungen (Probearbeit, Lohnkostenzuschüsse und insbesondere Weiterbildung),

  • Über- bzw. Erarbeitung von Bewerbungsunterlagen,

  • Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche und Assessmentcenter

  • Bei Bedarf Nachbetreuung, um den Prozess zu verstetigen.

„Ich beobachte, dass Frauen nach wie vor in vielen Bereichen schwerer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Viele Frauen müssen oder wollen sich nur in Teilzeit und wohnortnah zur Verfügung stellen, da sie sich noch immer mehrheitlich für die Betreuung der Kinder oder die Pflege Angehöriger verantwortlich fühlen.“
Karolin Helmich

Wie beurteilen Sie die Arbeitgeberseite, die Fach- und Führungskräfte sucht? Ist die offen für eine Vermittlung von Arbeitskräften durch die BA?
Die Offenheit der Arbeitgeber hängt ganz klar von Angebot und Nachfrage ab. Je weniger Fachkräfte auf dem Markt verfügbar sind, je weniger Bewerbungen eingehen, desto eher öffnen sich die Firmen gegenüber Quereinsteigern, Berufsanfängern und älteren Bewerberinnen und Bewerbern, wie wir es aktuell etwa bei Lehrkräften erleben. Ein großes Handlungsfeld sehe ich bei schwerbehinderten Menschen. Trotz der immer geringer werdenden Arbeitslosigkeit nimmt die Quote der schwerbehinderten Menschen, die auf Arbeitssuche sind, stetig zu. Hier bestehen nach wie vor unnötige Ängste und Vorbehalte seitens der Unternehmen.

Wie gelingt es, Frauen mit guter Ausbildung, aber familienbedingter Unterbrechung wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Fortbildungen können dabei sehr hilfreich sein. Ich berate nahezu täglich zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich beobachte, dass Frauen nach wie vor in vielen Bereichen schwerer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. In Vorstellungsgesprächen sind sie häufig Fragen nach Kindern (Planung und Betreuung) ausgesetzt, die Männern nicht gestellt werden. Sie sind oft aber auch – vielfach familiär verursacht – weniger flexibel hinsichtlich Arbeitszeit und -ort. Viele Frauen müssen oder wollen sich nur in Teilzeit und wohnortnah zur Verfügung stellen, da sie sich noch immer mehrheitlich für die Betreuung der Kinder oder die Pflege Angehöriger verantwortlich fühlen. Solange Männer allerdings in fast allen Bereichen deutlich mehr verdienen und bessere Aufstiegschancen haben, wird sich daran nur sehr langsam etwas ändern. Und leider trauen sich in meiner Wahrnehmung Frauen zudem oft weniger zu.

Welchen Einfluss hat die digitale Transformation auf den Arbeitsmarkt?
Die Digitalisierung wird nahezu alle Berufe verändern, es bleibt fast nichts, wie es war. Neue und insbesondere digitale Kompetenzen sind dafür unerlässlich. Neue Arbeitskulturen und -modelle werden entstehen (Telearbeit, kollaborative Projekte, Mobilität, Vernetzung und anderes). Themen wie lebenslanges Lernen und stetige Weiterbildung werden vor diesem Hintergrund immer wichtiger. Damit Menschen ihre Arbeitsplätze behalten können, müssen sie berufsbegleitend weitergebildet werden. Dafür stehen auch die Firmen in der Pflicht, ihrem Personal Wege und Möglichkeiten zu öffnen, auch um die Firmen wettbewerbsfähig zu halten.

Und was bringt die Digitalisierung für Ihren Beruf?
Such- und Findungsprozesse zwischen potenziellen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verändern sich. Soziale Berufsnetzwerke wie XING und LinkedIn gewinnen schon jetzt immer mehr an Bedeutung. Und auch die BA wird sich in ihrer beratenden Funktion anders ausrichten (müssen).

Zur Person
Karolin Helmich, seit 2007 Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit, berät im Arbeitnehmerservice arbeitssuchende und arbeitslose Fach- und Führungskräfte im Rahmen von INGA, führt Trainings und Seminare durch. Zuvor war die studierte Soziologin und Medienwissenschaftlerin als Beraterin und Teamleiterin im Arbeitgeberservice der BA tätig. Seit 2011 ist sie außerdem stellvertretende Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Sie hat zudem nebenberuflich ein Studium zur Systemischen Beraterin und Therapeutin erfolgreich absolviert.