„Der Pflegeberuf wird sich radikal ändern“

Was Studierende in Pflegeberufen von Juristen lernen und warum sie für Veränderungen in der Pflege offen sein müssen, erklärt Volker Großkopf, Professor für Recht in der Pflege an der Katholischen Hochschule NRW in Köln und Herausgeber der Fachzeitschrift Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen.

© Quelle: G & S Verlag GbR

Herr Großkopf, war Ihnen Familien- oder Erbrecht als Jurist zu langweilig oder weshalb führte Ihr Weg ins Gesundheitsrecht?
In meiner Studienzeit war es noch üblich, dass mangels Plätzen die Referendarzeit nicht immer direkt an das Studium anschloss. Ich bewarb mich deshalb bei Kranken- und Pflegeschulen, um dort als Dozent für Staatsbürger- und Gesetzeskunde zu unterrichten. In dem Zuge habe ich mich intensiv in die Gesundheitsmaterie einarbeiten müssen. Daraus sind dann sogar Lehr- und Fachbücher entstanden. Es war kein Plan, aber eine wirklich gute Entscheidung. Zwischendurch machte ich einen Abstecher in die Telekommunikationsbranche, wo ich Verträge zur Netzzusammenschaltung verhandelt habe. Daraus entstand auch meine Promotion. Ich gehörte zu einer Handvoll Experten und hatte sogar ein Angebot für einen lukrativen Job bei einem der Big Player. Aber ich habe mich dagegen entschieden. Parallel dazu eröffnete sich nämlich die Möglichkeit, an der Katholischen Hochschule NRW in Köln im Fachbereich Gesundheitswesen das Fach Recht zu unterrichten. Letztlich habe ich mich gegen das Geld und für die juristische Lehre entschieden.

Aus welcher Motivation heraus?
Mir lag daran, juristisches Wissen für die Pflegepraxis zu vermitteln, eine hohe Anschlussfähigkeit herzustellen, den Studierenden das zu vermitteln, womit sie später sehr konkret konfrontiert sind: in der unmittelbaren Pflege, im Pflegemanagement oder in der Geburtshilfe. Keine Elfenbeintürme, sondern Praxis.

„Oberstes Ziel in der Pflege und in der Gesundheitsbranche ist es, Schaden von Personen abzuwenden. Um Studierenden dies zu vermitteln, müssen sie die geltende Rechtsprechung kennen.“

Neben der Lehre haben Sie einen Verlag aufgebaut, in dem die Rechtsdepesche erscheint, und der sich zu einem Medienunternehmen mit Kongress- und Seminarangeboten und einer Online-Plattform entwickelt hat. Auch ein Angebot für die Praxis?
Oberstes Ziel in der Pflege und in der Gesundheitsbranche ist es, Schaden von Personen abzuwenden. Um Studierenden dies zu vermitteln, müssen sie die geltende Rechtsprechung kennen, alles was im Zivil- oder im Strafrecht, im Arbeits- und Sozialrecht geurteilt und angewendet wird. Das aufzuarbeiten, ist immer ein Kraftakt. Aber gleichzeitig gibt es eine viel größere Zielgruppe im Gesundheits- und Pflegebereich. So kamen mein Geschäftspartner und ich auf den Gedanken, einen Verlag zu gründen, der die Rechtsdepesche als Fachblatt herausgibt. Inzwischen sind wir 15 Jahre am Markt und ein Medienverlag, der Kongresse und Seminare anbietet, und wir haben uns zudem zu einem der wichtigsten Onlineportale im Gesundheitsbereich entwickelt.

„Den Pflegekräften muss man klarmachen, dass sie offen sein müssen für neue Entwicklungen wie beispielsweise die Technisierung in der Pflege. Technisierung bedeutet nicht, herzlos zu sein, sondern Unterstützung.“

Allgemein wird viel über die Pflegelandschaft geklagt: Wie motivieren Sie junge Menschen, die in diesem Bereich später arbeiten wollen?
Wer in einen Pflegeberuf gehen möchte, tut dies ja aus einer bestimmten Motivation, nämlich um helfen zu wollen. Ich sehe das bei meinen Studierenden, die haben dieses starke Bedürfnis. Ich denke, wir müssen intensiv an den Rahmenbedingungen in der Branche arbeiten und die Überforderungen reduzieren. Das ist Aufgabe der Arbeitgeber und der Politik. Wertschätzung gegenüber den Menschen und ihrer Tätigkeit ist ein anderes Thema. Den Pflegekräften muss man aber auch klarmachen, dass sie offen sein müssen für neue Entwicklungen wie beispielsweise die Technisierung in der Pflege. Ich sage bewusst Technisierung. Technisierung bedeutet nicht, herzlos zu sein, sondern Unterstützung. Dem gegenüber müssen wir offen sein. Sperren gegen Neues hilft nicht, ist eher kontraproduktiv.

Welches Szenario sagen Sie für die Pflegebranche voraus?
Die Pflege ist aktuell auf einem Best-Case-Niveau. Das müssen wir uns alle klarmachen angesichts der demografischen Entwicklungen. Für die geburtenstarken Jahrgänge, die künftig Pflege benötigen, wird es aber insgesamt weniger Personalressourcen geben, selbst dann, wenn sich prozentual mehr Menschen für einen Pflegeberuf entscheiden würden als heute. Das heißt, der Pflege- und Gesundheitsbereich wird neue Konzepte entwickeln müssen, wie die Pflege verändert und erleichtert werden kann, wie Technisierung und Digitalisierung integriert werden. Wir reden nicht von Robotern, sondern vom vielfältigen Einsatz technischer Hilfsmittel, ganz variationsreich. Hier ist Offenheit gefragt, ohne die wird es nicht gehen. Im kollektiven Gedächtnis haben wir heute eine konkrete Vorstellung, wie die Pflege aussehen muss. Aber der Pflegeberuf wird sich radikal ändern. Das ist ein Transformationsprozess, der gerade erst begonnen hat. In der Rechtsdepesche machen wir immer darauf aufmerksam, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Das trifft nicht nur auf Zustimmung, ist aber meines Erachtens ein Prozess, der nicht umkehrbar ist. Die Unternehmen sind hier ganz klar gefordert, bei veränderten Rahmenbedingungen Erfordernisse an die Pflege mit großer Wertschätzung der Betroffenen zu verbinden. Sonst brennen die Menschen aus.

Weniger Personal, mehr Aufgaben, mehr Technik, mehr Digitalisierung. Welche Ideen sind in der Pipeline, um sich für die Zukunft zu rüsten?
Der Informationstransfer wird ganz wichtig. Die Leute müssen wissen, was auf sie zukommt. Ganz klar werden an die Attraktivität des Arbeitsplatzes und der Aufgaben große Erwartungen gestellt. Arbeitszufriedenheit muss geschaffen werden. Die Mitarbeitenden erwarten auch ein hohes Maß an Freiheit, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Diese Herausforderungen gilt es zu organisieren. Aus rein juristischer Sicht stehen auch größere Veränderungen an. Ein großer Wandlungsprozess wird in der Aufgabenmigration liegen, das heißt auch eine Verlagerung von ärztlichen Tätigkeiten hin zur Pflege. Analog zur Gemeindeschwester, die es in der DDR gab, werden Aufgaben delegiert und substituiert werden müssen, um auch für strukturschwache Gebiete eine ausreichende Versorgung gewährleisten zu können. Das ist zwar kein neues Thema. Vor dem Hintergrund des Personalmangels wird es nun aber unausweichlich. Das haben mittlerweile auch die Ärzte verstanden. Daran hängen viele rechtliche Regelungen, an denen schon Expertinnen und Experten arbeiten. Es wird ein spannender Prozess werden, die Aufgabenmigration und die Personalmigration zu bewältigen und dennoch eine hohe Qualität in der Pflege und Medizin zu gewährleisten.

Zur Person
Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn, begann Volker Großkopf (Jg. 1961) neben seinem Referendariat mit ersten Lehraufträgen an Kranken- und Pflegeschulen. Seit 2001 lehrt Großkopf an der Katholischen Hochschule Köln im Fachbereich Gesundheitswesen in allen Studiengängen Recht im Gesundheitswesen. Gemeinsam mit einem Geschäftspartner gründete er den G+S Verlag, in dem die Rechtsdepesche, eine gesundheitsrechtliche Fachzeitschrift für das Gesundheitswesen, herausgegeben wird. Zudem betreibt er das Fortbildungsinstitut PWG-Seminare, welches neben Teilnehmer- und Inhouseseminaren den Interdisziplinären Wundcongress sowie den JuraHealth Congress in Köln veranstaltet.