Praxistipps für Auditoren

Mit Befangenheit im Audit umgehen

Wie Auditoren und Zertifizierungstellen mit Interessenkonflikten umgehen sollen, ist klar geregelt. Auditsituationen sind jedoch nicht nur schwarz-weiß. Es gibt Grauschattierungen, also vielfältige innere Faktoren, die dazu führen können, dass sich ein Auditor befangen fühlt oder in einen Rollenkonflikt gelangt. Was passiert, wenn Auditoren damit im Audit unerwartet konfrontiert werden?

Auditoren schildern häufig Situationen in Audits, die sie in ihrer Rolle stark berühren, ihr Urteilsvermögen beeinträchtigen, ja sogar Bias hervorrufen. Das eigentliche Problem ist weniger der Interessen- oder Rollenkonflikt an sich, sondern das Risiko für Verzerrungen (mehr dazu in unserem 1. Beitrag der Serie) und die damit verbundenen Folgen. Mehr noch, der Interessenkonflikt beeinflusst die kognitiven Prozesse des Auditors, was ihm im schlechtesten Falle entgehen kann. In diesem Beitrag beschreiben wir, welche „inneren“ Rollen- und Interessenkonflikte auftreten können, was Befangenheit bedeutet und welche Maßnahmen ein Auditor ergreifen kann, um akut Abhilfe zu schaffen. Dieser Artikel ist aus unserer 10-teiligen Serie “Praxistipps für den Auditoren“. Er richtet sich an Auditoren und die, die es werden wollen. Gemeinsam mit unserer Gastautorin, Andrea Kruck, möchten wir Ihnen hilfreiche Tipps für den Auditoren-Alltag vermitteln.

Was ist ein Interessenkonflikt?

Für Auditoren sind Unparteilichkeit und Objektivität ein hohes Gut. Entsprechende Anforderungen sind in der DIN EN ISO 17021-1:2015 und DIN EN ISO 19011:2015 enthalten. Diese gelten für alle Auditoren von Managementsystemen. Definiert wird der Begriff der Unparteilichkeit als „Vorhandensein von Objektivität“.

Die Norm DIN EN ISO 17021-1:2015 (Abs 3.2) beschreibt Unparteilichkeit so:

„Objektivität bedeutet, dass Interessenkonflikte nicht bestehen oder beigelegt wurden, um nachfolgende Tätigkeiten der Zertifizierungsstelle nicht nachteilig zu beeinflussen. Andere Begriffe, die bei der Vermittlung von Unparteilichkeitselementen zweckmäßig sind, sind: „Unabhängigkeit“, „Freisein von Interessenkonflikten“, „Freisein von Voreingenommenheit“, „Freisein von Vorurteilen“, „Neutralität“, „Fairness“, „Aufgeschlossenheit“, „Geradlinigkeit“, „Abstandswahrung“, „Ausgewogenheit“.“

Ob 1st-, 2nd- oder 3rd-Party Audits, die Umsetzungsverantwortung für die Handhabung von Interessenkonflikten liegt bei den Unternehmen und Zertifizierungsstellen. Typische Beispiele für „äußere“ Kriterien eines Interessenkonfliktes sind:

  • Ein interner Auditor darf nicht seinen eigenen Verantwortungsbereich auditieren.

  • Ein Lieferantenauditor sollte keine familiären Verknüpfungen zum Lieferanten haben.

  • Ein Zertifizierungsauditor sollte für das zu auditierende Unternehmen in kürzerer Vergangenheit nicht gearbeitet haben oder als Berater in diesem Unternehmen tätig gewesen sein.
    Das Risiko für Interessenkonflikte kann hier damit an relativ „harten“ also äußeren Kriterien festgemacht werden. Dafür lassen sich jeweils gezielte Maßnahmen ergreifen, um Unabhängigkeit und Objektivität sicherzustellen.

Was bedeutet Befangenheit bzw. ein Interessenkonflikt im Audit?

Ein Interessenkonflikt markiert zunächst Situationen, in denen berufliche Entscheidungen von Menschen durch (persönliche) Interessen beeinflusst werden könnten. Im Extremfall kann ein Interessenkonflikt als Missbrauch der anvertrauten Macht zum persönlichen Vorteil angesehen werden. Das setzt Vorsatz voraus. Vor dem Interessenkonflikt steht jedoch zunächst die Situation der Befangenheit. Ausdruck davon ist, dass Menschen die Sorge vor unbewussten Faktoren teilen, die zu verzerrten Urteilen führen (mehr dazu in unserem 1. Beitrag „Vorurteilsfrei auditieren“) und die sie in Rollenkonflikte bringen. Hier sprechen wir – zu besseren Einordnung – von individuellen oder inneren Interessenkonflikten. Denn Auditoren verfügen über ein gewisses Vorverständnis, eine individuelle persönliche, weltanschauliche und politische Überzeugung, eine persönliche Sicht auf die Welt und den Menschen. Das kann für eine persönliche Voreingenommenheit sorgen.

Stellen Sie sich einmal folgende Audit-Situationen vor:

  • In einem internen Audit: Sie auditieren einen Bereich, der in Ihrem operativen Tagesgeschäft (gefühlt) häufig gegen Sie arbeitet. Es gibt ständig Konflikte oder Konkurrenzkampf oder die Abteilung legt Ihnen bei Projekten Steine in den Weg.

  • Sie treffen im Audit auf Nationalitäten, bei denen Sie aufgrund religiöser oder tagespolitischer Umstände nicht unbefangen sind.

  • Sie treffen auf Menschen, die verbal übergriffig werden. Indem die Person Grenzen überschreitet oder ihre Macht durch abwertende oder verletzende Äußerungen demonstriert.

  • Ihr Gegenüber löst bei Ihnen ein Déjà-vu aus, denn die Person erinnert Sie an unangenehme Menschen in Ihrem Leben. Zum Beispiel den cholerischen Chef oder die streitsüchtige Kollegin.

  • Sie treffen unerwartet auf einen ehemaligen Lebenspartner, der jetzt Geschäftsführer des zu auditierenden Unternehmens ist.

  • Sie stellen fest, dass der zu auditierende Lieferant in seinem Produktportfolio auch Bauteile oder Produkte zur Waffenherstellung hat (sofern das im Konflikt mit Ihrer eigenen Weltanschauung steht).

Die hier beschriebenen Situationen führen nicht bei jedem Auditor zu einem Rollenkonflikt oder zur Befangenheit. Manch ein Auditor nimmt für sich in Anspruch: „Da gehe ich doch gerade mit dieser Person in den Diskurs“. Es gelingt eben nicht jedem und in jeder Situation, neutral und objektiv zu sein, gerade wenn man emotional befangen ist. Eine solche Situation setzt dann einen „Trigger“, der Unsicherheit auslöst, Sie vielleicht in Verlegenheit bringt, Schamgefühle auslöst oder im anderen Extrem zu einer ärgerlichen Grundhaltung oder gar Aggression führt.

Wahrnehmen der eigenen Befangenheit – Übung Reflexionsfragen

Zugegeben, diese Fragen können Sie sich nicht während eines Audits stellen. Sie sollten die Gelegenheit nutzen, nach einem Audit, bei dem Sie sich befangen gefühlt haben, mit sich ins Gespräch zu kommen. Es hilft Ihrer Regulierungskompetenz.

  • Bleibt mein Selbstwert/Selbstsicherheit stabil, auch wenn mein Gegenüber mich triggert?

  • Wie gehe ich mit Ausweichmanövern um, wenn der andere versucht, etwas zu verschleiern?

  • Kann ich entschieden dagegenhalten, wenn jemand durchsetzungsstark auftritt?

  • Gibt es Themen, Überzeugungen, bei denen ich nicht kompromissbereit bin?

  • Will ich gute Beziehungen gestalten, auch wenn ich im Konflikt mit jemanden bin?

  • Wie geht es mir, wenn ich die eigene Meinung korrigiere? Kann ich anderen Ansichten Platz lassen?

  • Wann werde ich angespannt? Wann ungeduldig? Wann rebellisch?

  • Welches Gefühl dominiert mich in einem Rollenkonflikt?

  • Bin ich in der Lage, gleichzeitig freundlich und bestimmt zu sein? Was hindert mich daran?

Für diese Formen der Befangenheit bleibt es in der Verantwortung eines Auditors, damit professionell umzugehen. Und das ist gar nicht so einfach. Denn was diese Situation vor allem kennzeichnet, ist, dass Auditoren in relativ kurzer Zeit die vorhandenen Handlungsoptionen bewerten und aktiv werden müssen. Dabei kann die Spanne reichen von „Augen zu und durch“ bis hin zu „ich breche das Audit ab“. Letzteres ist selten eine Option, ggf. bei Gefahr für Leib und Leben. Häufig treffen Auditoren in so einer Situation eine schnelle „Bauchentscheidung“ und hoffen, dass sie ihre Unparteilichkeit und Objektivität aufrechterhalten können.

Tatsächlich ist der erste hilfreiche Schritt, sich des Risikos/Rollenkonfliktes bewusst zu sein/zu werden. Die Beurteilung von Auditsachverhalten ist vielleicht von meiner persönlichen Befangenheit überlagert, nach dem Motto „Problem erkannt ist die halbe Miete“.

Tipps für den Methodenkoffer

Triggerpunkt wahrnehmen: Viele Auditoren scheitern daran, dass sie zunächst nicht wahrnehmen, dass bei ihnen ein „Knopf“ gedrückt wurde. Sie spüren zwar die Abwehr, den Ärger im Gespräch, können das jedoch nicht einordnen. Verordnen Sie sich eine kurze Pause und nutzen Sie die Gelegenheit, die Situation einzuordnen und zu bewerten. Was ist gerade passiert? Was hat mein Gesprächspartner genau gesagt? Was stört mich akut? Sie können erst aktiv handeln und das „Heft wieder in die Hand nehmen“, sich ggf., selbst korrigieren, wenn Sie Klarheit haben. Passiert dies nicht, erhöht sich das Risiko eines Messfehlers im Audit.
Souveränität bewahren: Zunächst einmal sind solche Situationen nicht vorhersehbar. Also weder die „Schuld“ des Auditors noch die des Auditierten. Zweifel an der Eignung als Auditor und Panik helfen nicht. Aber Akzeptanz und Vertrauen in Ihre methodischen Kompetenzen. Denken Sie an Distanz, Struktur, Neutralität. (siehe Infobox oben)
Reset-Taste drücken: Ist die Atmosphäre deshalb unhaltbar oder aufgeladen, dann verlassen Sie kurz den Raum und ändern Sie den „Rahmen“ für diese Situation. Machen Sie eine Spiegel-Übung. Blicken Sie hinein, lächeln Sie und atmen Sie mehrmals tief durch. Wenn sich der Puls beruhigt hat, Ruhe einkehrt, dann gehen Sie zurück ins Audit.
Fisch-Teich-Prinzip bedenken: Erinnern Sie sich daran, dass die einzelne Situation, die Sie triggert, nicht für alles andere / die gesamte Organisation gelten kann. Nehmen Sie die zu auditierende Organisation als Ganzes, als komplexes System mit vielen Menschen wahr. Und alle diese Menschen und die Organisation haben ein Recht darauf, dass ein objektives Audit durchgeführt wird.
Wechsel-Option prüfen: Falls Sie im Audit Team unterwegs sind, dann tauschen Sie mit einem Kollegen den Punkt im Auditplan.
Relevanz für den Auditprozess prüfen: Einflüsse durch Rollenkonflikte relativieren sich, wenn man die Auditziele im Blick behält. Nimmt man beispielsweise ungünstige Kommunikationsmechanismen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern wahr (die einen z.B. an den eigenen cholerischen Chef erinnern), triggert das das eigene Empfinden. Hat dies Relevanz für die Auditsachverhalte und Auditziele? Dann bewerten Sie dies.
Drei-zu-eins Regel nutzen: Beim Sammeln objektiver Nachweise achten Sie ganz bewusst darauf, ob Ihr Blick/ Ihr Fokus zu sehr auf den Defiziten der auditierten Organisation liegt. Eine mögliche Vorgehensweise ist, für jede Abweichung drei Nachweise für die Bestätigung des Systems zu suchen. Das ermöglicht im Umkehrschluss beim Feedback zur Konformität und Wirksamkeit von Anforderungen auch positive Aussagen treffen zu können. Damit wird die Wertschätzung in alle Richtungen sichergestellt und mindert das Risiko, dass das Auditergebnis diskreditiert wird.
„Was nicht funktioniert, wird geändert“ Prinzip wählen: Nach dem Audit bewerten Sie, ob es eine gute Idee ist, das nächste Audit einem anderen Kollegen zu überlassen. Geben Sie dem Auftraggeber des Audits dazu Rückmeldung.

Die DNS-Regel: Wenn es unmittelbar „brennt“

Schaffen Sie in der Situation zunächst Distanz. Bestätigen Sie sich Ihrer Rolle. Erinnern Sie sich an Ihr Vorgehen/Ihren Auditplan und arbeiten Sie ihn ab.
Bewahren Sie möglichst die Neutralität, indem Sie sachlich formulieren, gezielt fragen und am Ende durch Zusammenfassung ein gemeinsames Verständnis herstellen.
Nutzen Sie die Struktur, die Audits Ihnen vorgeben als Ihren Haltepunkt.

Haben Sie den Mut, den Rollenkonflikt sich selbst einzugestehen. Ein Audit kann immer zu Interessen- und Rollenkonflikten führen und dazu, dass Sie emotional befangen sind. Gelingt es Ihnen jedoch nicht mehr zu abstrahieren, also über „den Dingen zu stehen“ und unvoreingenommen das Audit fortzuführen, sollten Sie im Zweifelsfall auch die Konsequenzen ziehen und ein Audit abbrechen.
Bevor Sie dies tun, nutzen Sie die Reset-Taste (siehe oben) in der Situation, in der Sie persönlich befangen reagieren, große Widerstände verspüren. Das ist ein mächtiges Werkzeug. Wenn man spürt, die Wahrnehmung ist eingetrübt oder die Vorurteile lasten doch zu sehr auf einem, dann macht die Reset-Taste den Blick wieder frei.

Fazit

Das Risiko für (äußere) Interessenkonflikte lässt sich gut im Vorfeld eines Audits bewerten und managen. Der Umgang mit Befangenheit (inneren Konflikten) liegt in der Verantwortung des Auditors. Das Erkennen von möglicher Befangenheit ist die Voraussetzung für einen wertschätzenden Umgang damit. Souveränität und methodisch sauberes Arbeiten helfen, ein faires Auditergebnis zu erzielen.

Was können Prüfdienstleister und Unternehmen tun, um ihre Auditoren zu unterstützen?

Die DIN EN ISO 19011 (Anforderungen für alle Auditoren) ebenso wie die DIN EN ISO 17021-1 stellen klar: Auditoren sollen so ausgewählt werden, dass sie die Objektivität und Unparteilichkeit des Auditprozesses sicherstellen. Machen Sie deshalb das Thema innere Interessen- und Rollenkonflikte zum Thema Ihrer Qualifizierungsmaßnahmen für Auditoren. Wenn Sie mit uns das Thema vertiefen möchten oder nach Möglichkeiten der Auditoren-Entwicklung suchen, wir beraten Sie gern.

Diese Praxistipps stärken Auditoren u.a. in den folgenden Kompetenzbereichen gemäß der DIN EN ISO 19011 & DIN EN ISO 17021-1

Autonomie - Freisein von Voreingenommenheit, Vorurteilen; sich ethisch verhalten
Reflexionsfähigkeit - bereit sein, aus Situationen zu lernen
Verhandlungskompetenz - Ausgewogenheit herstellen und Abstand wahren
Konfliktfähigkeit - standhaft und geradlinig sein,

Zu den Autorinnen der Reihe
Für die 10-teilige kollaborative Beitragsserie „Praxistipps für den Auditoren-Alltag“ freuen wir uns, mit einer Gastautorin zusammenzuarbeiten, die sich mit großer Leidenschaft für die Weiterbildung von Auditoren einsetzt und praxisnah aus dem Alltag berichtet.

Andrea Kruck hat viele Jahre als Auditorin, Trainerin und Coach bei namhaften Unternehmen der Prüfdienstleistungsbranche gearbeitet. Sie war als Trainerin und Akademieleiterin für die Auditorenaus- und weiterbildung maßgeblich verantwortlich. Folgen Sie Andrea Kruck in LinkedIn

Ina Westphal ist Personalberaterin und Geschäftsführerin von Hellmund. Die Personalberater. Sie besetzt seit vielen Jahren Führungs- und Expertenfunktionen in der TIC-Branche und in Qualitäts- und Nachhaltigkeitsabteilungen bei Unternehmen. Ein Schwerpunkt und Herzensthema ist für sie der Auditorenberuf. Folgen Sie Ina Westphal auf LinkedIn

Vorschau
Im 5. Beitrag “Gutes Zeitmanagement im Audit” können Sie nachlesen, wie Sie Unerwartetes im Audit gut managen und welche Methoden hilfreich sind, um den Zeitrahmen eines Audits im Griff zu haben.