Omnichannel im Pharmavertrieb

„Früher war der Außendienst ,Eigentümer‘ der Kunden – diese Zeiten sind vorbei!“

Mark Geißler war bis August 2023 als Head of Account Management DACH bei Aimmune Therapeutics dafür zuständig, eine innovative Therapieform für eine Nahrungsmittelallergie zu vermarkten. Er sagt, der Vertrieb funktioniert inzwischen völlig anders als vor der Pandemie.

Ihr Unternehmen hat eine orale Immuntherapie entwickelt, die es vorher in Deutschland so noch nicht gab. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie in Marketing und Vertrieb?

Wir führen nicht nur ein neues Produkt ein, sondern müssen die Ärzte und diese wiederum die Patienten von einem komplett anderen Therapieansatz überzeugen. Bisher wurden die Patienten und ihr Umfeld darauf trainiert, das Nahrungsmittelallergen zu vermeiden, jetzt sollen sie täglich geringe Mengen des Allergens zu sich nehmen, um ihre individuelle Toleranzschwelle anzuheben. Da besteht viel Gesprächsbedarf zwischen den behandelnden Medizinern und den Betroffenen. Unsere Botschaft: Der Aufwand lohnt sich. Herausfordernd für uns sind auch die vielen regulatorischen und gesetzlichen Vorgaben: Wenn wir eine Marketingkampagne starten wollen, brauchen wir einen Vorlauf von mindestens zwei Monaten, bis alle Unterlagen durch medizinische und juristische Reviews durch sind, damit wir als Unternehmen alle Anforderungen erfüllen. So können wir leider nicht ad hoc reagieren.

Wen adressieren Sie über welche Kanäle?

Wir als Pharmaunternehmen dürfen ja nur direkten Kontakt zu Ärzten haben. So schreibt es das Heilmittelwerbegesetz vor. Für die Ansprache von Ärzten nutzen wir alle möglichen Kanäle. Die Pharmaindustrie ist sehr traditionell und noch vor wenigen Jahren galt: Je mehr Mitarbeiter ich draußen im Vertrieb habe, desto größer der Erfolg. Corona hat das verändert. Wir durften nicht in die Praxen fahren, aber wollten natürlich trotzdem den Kontakt zu den Ärzten halten. Videocall, Telefon, Fax, E-Mail, Whatsapp – alles lief nebeneinander und ziemlich unkoordiniert. Ich würde sagen, die Pandemie hat das, was sich vorher bereits angedeutet hat, um fünf bis zehn Jahre beschleunigt. Jetzt ist unser Ziel, die verschiedenen Kanäle mit einheitlichen Botschaften und in der richtigen Frequenz zu bespielen. Ein Omnichannel-Ansatz also. Der Bedarf ist da: Wir sehen, dass die Ärzte weiter in Kontakt mit uns sein wollen, nur die Art der Kontakte wird anders sein.

Besuchen Ihre Mitarbeiter die Ärzte auch wieder?

Ja, das ist vor allem wichtig, um neue Kundenbeziehungen aufzubauen oder wenn Patienten in der Praxis auf unsere Therapie eingestellt werden. Die Anzahl der persönlichen Kontakte ist im Vergleich zu früher deutlich reduziert, in puncto Qualität allerdings höher und häufig auch deutlich länger. Nach dem initialen Kontakt vor Ort geht es darum, Kunden miteinander zu vernetzen, Informationen mit Kollegen zu teilen. Früher bestand zwischen Marketing und Sales ein riesiges Konfliktpotenzial. Der Außendienst war ‚Eigentümer‘ der Kunden. Aber diese Zeiten sind vorbei! Es kann nicht mehr die Rede von ‚meinem Kunden‘ sein, sondern nur noch von ‚unseren Kunden‘. Das ist ein großer Switch, den die Mitarbeiter da mitmachen müssen.

Wie begleiten Sie diesen Veränderungsprozess?

Indem ich die Mitarbeiter einbinde und die Akzeptanz für diese Schritte aufbaue und nicht einfach die Vorgaben von oben weiterreiche. Der Job ist viel fordernder als früher, denn die Gebiete werden größer und die Therapien komplexer. Auch mit gesundheitspolitischen Aspekten und Erstattungsfragen müssen sich die Leute auskennen, um sich mit den Ärzten auf Augenhöhe zu bewegen. All diese Anforderungen lassen sich nur bewältigen, wenn die Mitarbeiter als Team funktionieren.

„Früher bestand zwischen Marketing und Sales ein riesiges Konfliktpotenzial. Der Außendienst war ‚Eigentümer‘ der Kunden. Aber diese Zeiten sind vorbei! Es kann nicht mehr die Rede von ‚meinem Kunden‘ sein, sondern nur noch von ‚unseren Kunden‘. Das ist ein großer Switch, den die Mitarbeiter da mitmachen müssen.“
Mark Geißler, langjährig erfahrener Manager in pharmazeutischer und Medizinprodukte-Industrie im DACH-Raum. Head of Account Management DACH bei Aimmune Therapeutics.

Wie wählen Sie neue Mitarbeiter aus?

Wichtig ist mir, dass sie analytisches Verständnis haben und die Fähigkeit mitbringen, als Macher zu agieren. Um herauszufinden, ob jemand zu uns passt, setzen wir auch diagnostische Tools ein. Dann interessiert mich: Welchen Erfahrungshorizont haben sie? Ich sehe gern, wenn jemand nicht nur in einem Bereich tätig war, sondern auch mal andere Jobs gemacht hat. Für mich steht ein ungerader Lebensweg für mentale Offenheit. Ich selbst bin auch als Quereinsteiger in den Pharmavertrieb gelangt. Ich bin gelernter Physiotherapeut. Mein Medizinstudium habe ich abgebrochen, weil ich doch lieber arbeiten wollte. Dann bekam ich ein Angebot von einem Pharmaunternehmen und arbeite seitdem sehr gern in dieser Branche.

Kommen auch branchenfremde Kandidaten infrage?

Weil Pharma-Außendienst -Mitarbeiter eine Anerkennung als Pharmareferent benötigen, ist dies etwas limitiert. Generell stehe ich aber Neulingen in der Pharmabranche offen gegenüber. Man muss dabei immer berücksichtigen, in welcher Phase der Produktvermarktung man einstellt. In der Launchphase hat es sich bewährt, Bewerber mit Markt- und Kundenkenntnissen zu wählen. Das beschleunigt in der Regel den Marktzugang. Im weiteren Verlauf der Vermarktung nimmt dieses Kriterium immer weiter an Relevanz ab und man schaut eher darauf, ob ein Bewerber die Fähigkeit mitbringt, die entsprechende Aufgabenstellung erfolgreich zu erfüllen. Zu diesem Zeitpunkt haben sicher auch Bewerber aus anderen Bereichen eine gute Chance.

Zur Person:

Mark Geißler hat als erfahrener Manager in leitenden Funktionen für verschiedenen Pharma- und Medizinprodukteunternehmen gearbeitet. Er baute als Geschäftsführer die deutsche Niederlassung des italienischen Pharmaherstellers Fidia auf. Bis August 2023 war er Head Account Manager DACH bei Aimmune Therapeutics. Seither ist er als Senior Vice President Business Development bei Aptissen SA beschäftigt.

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