Warum Stellenanzeigen abschreckend wirken

Täglich beobachte ich, wie sehr sich der Arbeitsmarkt verändert. Als Junior-Researcherin einer Personalberatung beschäftigt mich das, denn diese Veränderungen beeinflussen unsere Suche nach Personal. Ich sehe aber auch, welche Probleme es für Berufsneulinge wie mich gibt.

Die erste Hürde für Berufsanfänger? Die Stellenanzeigen!

Da steht zum Beispiel in einer Anzeige: „Sie verfügen über ein abgeschlossenes Studium der Betriebswirtschaftslehre und verfügen über umfassende betriebswirtschaftliche Kenntnisse.“ Absolvent:innen fragen sich hier: Habe ich mit einem BWL-Studium nicht bereits umfassende betriebswirtschaftliche Kenntnisse erworben? Wie viel ist „umfassend“? Darf das abgeschlossene Studium der Bachelor sein oder muss ich schon einen Master nachweisen?

Meine Freundin Maria sitzt neben mir und scrollt auf dem Handy durch verschiedene Stellenangebote in ihrer XING-App. Ihr Studium neigt sich dem Ende zu. Sie reicht bald ihre Bachelorarbeit für BWL ein, in wenigen Wochen könnte sie ihren Abschluss haben. Die Frage, was danach kommt, hätte sie sich vielleicht schon früher stellen sollen.

Für Absolvent:innen wie Maria verändert sich finanziell nun viel in in kurzer Zeit. Kein BAföG mehr, keine Steuervergünstigungen, keine vergünstigten Versicherungen, Studentenrabatte und kostenlose Nahverkehrstickets mehr. Und kein Studentenleben, das einem anderen Rhythmus folgt als das Berufsleben. Damit ist es vorbei. Für viele Absolvent:innen wie Maria, beginnt damit eine unsichere Zeit. Natürlich haben wir in Aushilfstätigkeiten als Studenten erste Erfahrungen sammeln können, haben Jobinterviews geführt, Kurzbewerbungen verfasst und uns Vertragsklauseln angesehen. Jetzt steht für uns eine andere Form des Arbeitsverhältnisses an: Ausführliche Bewerbungsunterlagen sind erforderlich und die bisherige Berufspraxis wird schon intensiv hinterfragt.

Dazu kommen Unsicherheiten und Fragen, die sich Absolvent:innen in dieser Phase stellen: Welchen Beruf kann ich überhaupt ausüben mit meinem Studium oder meiner Ausbildung? Wie schreibe ich den „perfekten“ Lebenslauf? Welches Unternehmen passt zu mir und ich zu ihm? Wie reagiere ich auf eigenartige oder überraschende Fragen im Bewerbungsgespräch? Darf ich nach dem Gehalt fragen oder denken dann alle, mir geht’s nur ums Geld?

Bevor es so weit ist, müssen Absolvent:innen aber die erste große Hürde überwinden: Welche Jobs sind überhaupt verfügbar und für welche Jobs kommen wir infrage? Und da sind wir wieder bei den Stellenanzeigen. Ein großer Teil meines Freundeskreises, so wie Maria, bereitet schon das Interpretieren der Stellenanzeigen Kopfzerbrechen. Oft sind Stellenanzeigen eine einzige einschüchternde Liste: Anforderungen, wie Abschlüsse, Zertifikate, Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften. Und Aufgaben, die gefühlt für drei Personen bestimmt sind. In Gesprächen begegne ich hier einem folgenschweren Missverständnis. Wenn ich nicht alle Anforderungen erfülle, dann brauche ich mich gar nicht erst zu bewerben. Dem widerspreche ich aber. Mein Tipp lautet: Bewirb dich, selbst wenn du nur 6 von 10 Angaben erfüllst. Meine Freundin Maria hat diese Sorge auch. Regelmäßig zeigt sie mir Stellenanzeigen, die ihr gefallen und vielleicht gut zu ihr passen könnten, verwirft sie aber wieder. Das hat zwei Gründe. Ihre fehlende Berufserfahrung und der fehlende Verweis, dass Absolvent:innen sich ebenfalls bewerben können.

Meine Tipps für Berufsanfänger

1. Mut fassen und Kontakt aufnehmen
Viele Firmen erhalten bei Weitem nicht so viel Resonanz auf ihre Anzeigen, wie viele Bewerber denken. Den Mut zu fassen und sich aktiv zu bewerben, kann für beide Seiten eine freudige Überraschung sein.
2. Nicht unterkriegen lassen
Lass dich von den vielen Forderungen in einer Stellenanzeige nicht unterkriegen. Suche nach möglichen Gemeinsamkeiten und frage in folgenden Gesprächen nach, wie du fehlende Kenntnisse ausbauen kannst.
3. Auf deine Stärken besinnen
Deine Stärken und Vorzüge beschränken sich nicht nur auf Computerkenntnisse und Abschlüsse. Mache dir selbst und im Gespräch dem Unternehmen klar, welche Vorteile deine Einstellung bringen, die über die Grundanforderungen hinaus gehen.

Wir sind in einem „Bewerbermarkt“ und ich stelle mir die Frage: Warum werden Quereinsteiger adressiert, aber häufig keine Berufseinsteiger angesprochen? Weshalb werden bestimmte Vorgaben als explizite Anforderung genannt, statt zu sagen, den Rest wird man im Laufe der Einarbeitung schon lernen? Ich beobachte nämlich, dass Firmen offen dafür sind, jemanden einzustellen, der nur 50 bis 70 % der Anforderungen erfüllt. Denn sie sind gewillt, die restlichen Prozent gemeinsam zu entwickeln und auszubauen. Warum also kann das nicht in einer Stellenanzeige stehen?

Viele Berufserfahrene wissen, dass Stellenanzeigen wahre Multitalente beschreiben. Sie rufen einfach an oder reichen ihre Bewerbung trotzdem ein. Absolventen fällt das schwer, denn das Vertrauen in das eigene Können wächst nun mal erst mit zunehmender Berufserfahrung.

Für Maria bin ich dann auf die Suche gegangen nach einer Stellenanzeige, die ihre Erfahrungen, Interessen und Vorstellungen vereint. Über zwei Stunden später sitzen wir gemeinsam auf der Couch und sie hat ihr Handy am Ohr. Sie ist angespannt und muss erst einmal durchatmen, bevor ihr Anruf entgegengenommen wird. 10 Minuten später freuen wir uns beide, dass sie nächste Woche ein Bewerbungsgespräch hat. Und ihr wird sogar gesagt, jemand mit Marias ersten Erfahrungen und Können, könnte sehr gut zum Unternehmen passen. Ich drücke ihr jetzt die Daumen. Trotzdem bleibt die Frage zurück, weshalb ist es so schwer, den Berufseinstieg zu finden?

Natürlich gibt es einige Plattformen, die auf Absolvent:innen ausgerichtet sind. Absolventa oder Connecticum wenden sich direkt an Absolvent:innen und Studierende. XING und LinkedIn verfolgen Strategien, um explizit Berufsanfänger anzusprechen. Und auch einige (wenige) Firmen geben an, dass sie Absolvent:innen einstellen würden. Das reicht leider noch nicht aus. Denn der Fachkräftemangel wächst, der Nachwuchs fehlt. Der erste Schritt sollte also sein, die Stellenanzeigen zu entstauben und zielgruppengerecht zu formulieren. Liegt es also an den Absolventen:innen, an den Stellenanzeigen, an den Firmen, dass wir nicht zueinander finden? Oder ist es gar ein Generationenkonflikt? Eine Frage, die ich vermutlich mir selbst erst in ein paar Jahren beantworten kann.