„Erst wenn ich das Alte gut abschließe, bin ich offen für Neues“

Oft entstehen berufliche Veränderungen geplant. Und manchmal geschehen sie unerwartet und ungeplant: Der Wechsel zum neuen Unternehmen, von dem man sich so viel versprochen hat, stellt sich als krasse Fehlentscheidung heraus. Direkt nach dem Start beginnt eine Restrukturierung und führt zur Kündigung in der Probezeit. Oder nach vielen produktiven Jahren in einem Unternehmen verändert sich plötzlich alles durch eine große Transformation. Oder eine Nachwuchsführungskraft übernimmt eine Abteilung, die sie neu aufstellen soll. Es gibt widersprüchliche Anforderungen und Versprechungen werden nicht eingehalten. Die Aufgabe wird zur Mission Impossible. Jeder/Jede kennt solche Beispiele oder hat sie selbst erlebt. Der Wunsch, nun schnell eine neue Aufgabe zu finden und endlich „Glück zu haben“ ist nachvollziehbar. Als Personalberater stellen wir in den Gesprächen mit Kandidatinnen und Kandidaten aber manchmal fest, dass sie für die Vermittlung, also für die Übernahme einer neuen Aufgabe, noch nicht bereit sind.
Wir haben mit Michaela Rau, Business Coach und Organisationsberaterin, gesprochen, was dahintersteckt und was sie Betroffenen rät.

Ina: Liebe Michaela, du kennst aus deiner Praxis sicher auch solche Beispiele. Wie erklärst du deinen Klienten, was mit ihnen vorgeht?

Michaela: Unsere Arbeit ist etwas, mit dem wir uns stark identifizieren. Egal, ob wir selbst kündigen oder ob wir gekündigt werden, oder ob sich nach langen Jahren der Zugehörigkeit alles ändert: Das ist ein Verlust, den wir erst einmal „verdauen“ müssen. Manche vergleichen das mit den Phasen, die Trauernde durchleben: da ist erst einmal Schock, dann Ablehnung, Wut und vielleicht am Ende Akzeptanz.

Das sind Themen, die wir im beruflichen Kontext nicht gerne zulassen möchten. Angst, Wut, Trauer… Solche Emotionen haben - bitte schön - im Berufsleben keinen Platz! Doch, das haben sie. Denn wenn ich in der Probezeit oder nach langen Jahren der Loyalität gekündigt werde, dann kann das eine handfeste Kränkung sein, eine Verletzung meines Selbstwertgefühls. Eine typische Frage, die sich Menschen dann stellen, ist: „War das alles nichts wert, was ich hier jahrelang geleistet habe?“ Das sind Gefühle der persönlichen Zurückweisung, Missachtung und Abwertung oder das Gefühl, unfair behandelt worden zu sein. Wie gesagt: Das muss man erst einmal wegstecken.

Ina, du sagst selbst, dass du in euren Gesprächen das Gefühl hast, manche Kandidaten seien noch nicht soweit. Woran machst du das fest?

Ina: Wir erleben, dass ausführlich und in Teilen emotional über das Erlebte berichtet wird. Manche Kandidatinnen und Kandidaten „drehen sich im Kreis“, d.h. wir kommen im Gespräch immer wieder auf die Kränkung zurück. Es fehlt der Abstand, um das Erlebte abzuschließen und Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Der Blick zurück ist stärker als der Blick nach vorne. Und manchmal ist auch das Vertrauen in andere erschüttert. Aber gerade das ist eine Basis für eine gelingende Arbeitsbeziehung.

Michaela: Genau diese Beobachtungen mache ich in meiner Praxis auch, Ina. Wenn die alte Geschichte nicht verarbeitet ist, dann wirkt die Person schnell verunsichert oder verbittert. Personalberater oder auch Recruiter und Führungskräfte nehmen das sofort wahr. Wie stark eine solche Kränkung ausfällt, ist sehr individuell. Menschen mit starkem Selbstwertgefühl fällt es leichter, sich auf Neues einzustellen. Sie glauben an sich selbst und können negative Erlebnisse wie z.B. eine Kündigung besser verarbeiten. Menschen mit einem geringerem Selbstwertgefühl sehen sich selbst kritischer und hinterfragen die eigenen Fähigkeiten. Da kommen Gedanken wie „Ich habe es nicht geschafft“ oder „ich habe versagt“.

Ina: Wie gehst du vor, wenn du merkst, dass dein Klient noch nicht bereit ist für eine neue Aufgabe?

Michaela: Grundsätzlich gilt: Erst wenn ich das Alte für mich gut abschließe, bin ich offen für Neues und kann dort Kraft und Motivation hineinlegen. Das ist nicht nur für mich als Betroffenen wichtig, sondern auch für meinen zukünftigen Arbeitgeber, der sich meinen vollen Einsatz und Fokus wünscht. Ich unterstütze meine Klientinnen und Klienten dabei, einen guten Umgang mit der Situation zu finden. Mein Vorgehen hängt sehr individuell von der Situation meiner Coachees ab. Da geht es beispielsweise um Selbstfürsorge und um die Anerkennung und das Zulassen der eigenen Gefühle. Manchmal geht es um die Auseinandersetzung mit sehr alten Glaubenssätzen oder um die Stärkung des Selbstwertgefühls und um Ressourcenarbeit, d.h. die eigenen Erfolge, Stärken und Kompetenzen bewusst machen. Und wenn der Blick wieder nach vorne gehen kann, geht es auch um die Erarbeitung eines kraftvollen Zukunftsbildes.

Ina: Wann ist man bereit für etwas Neues?

Michaela: Es gibt Klienten, die wissen nur: Ich will da raus. Aber es ist ihnen nicht klar, was sie stattdessen wollen. Sie verharren noch in ihren Verletzungen. Wir sprechen von der „Weg-von-Motivation“ und der „Hin-zu-Motivation“. Die Bereitschaft für Neues ist da, wenn ich wieder in der Lage bin, mir Fragen zu stellen, wie: Was will ich im neuen Job? Was will ich nicht mehr? Worauf lege ich wert? Was ist mir wichtig? Was macht mir Spaß?

Hintergrund: Den Übergang gestalten.

Wenn der Job zur permanenten Durststrecke wird, berufliche Krisen und ungewisse Zeiten bewältigt werden müssen, braucht es die Fähigkeit zur Reflexion und zur Toleranz von Ambiguität. Vielen gelingt es in der Situation nur schwer, von eigenen Ansprüchen abzulassen, mit Widersprüchen umzugehen.

Wie senkt man überhöhte Ansprüche? Wie hört man auf, an sich zu zweifeln, wenn etwas misslingt? Die Lösung ist leider nicht trivial.

  1. Ein erster Schritt kann sein, innezuhalten, das Tempo zu verlangsamen und vor allem nicht sofort nach einer Lösung zu suchen. Es gilt, die eigene Situation zunächst wahrzunehmen.

  2. Gestatten Sie es sich, sich einzugestehen: "Hier läuft es gerade nicht rund. Und ich weiß noch nicht, was ich tun soll." Die eigene Situation zu akzeptieren, das wäre ein zweiter wichtiger Schritt. Er geht einher damit, mit sich selbst nicht nur kritisch sondern fürsorglich umzugehen.

  3. Noch nicht ganz weg zu sein vom alten Job und noch nicht zu wissen, was die berufliche Zukunft bereit hält? Diese Phase kann man als Zwischenphase oder Zwischenraum bezeichnen. Positiv betrachtet ist ein Zwischenraum ein freier Raum zwischen zwei Berufs- oder Lebensabschnitten. Framen Sie die Phase bewusst positiv. Im dritten Schritt sollten Sie diese Phase im Zwischenraum aktiv gestalten. Beobachten Sie und nehmen Sie wahr, wie es sich für Sie anfühlt. Was heißt gestalten? Informieren Sie sich, führen Sie Gespräche, treffen Sie Menschen, nutzen Sie Gelegenheiten. Diesen Zwischenraum können Sie aktiv lenken, ohne dass Sie schon auf eine neue berufliche Lösung hinarbeiten.

  4. Erst im letzten Schritt arbeiten Sie mit aller Kraft an Ihrer Lösung.

Hier zeigt sich, wie Ihre Fähigkeit, die eigene Situation zu reflektieren und anzunehmen und Ambiguitäten (also Mehrdeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten) zu tolerieren, ausgeprägt ist. Bewerten und vergleichen Sie sich nicht mit anderen und gehen Sie nicht zu hart mit sich selbst ins Gericht. Nicht ohne Grund braucht diese Phase ("weg von") auch ausreichend Zeit.

Nicht Jedem/Jeder fällt es leicht, so einen Prozess allein zu steuern oder zu durchlaufen.
Nutzen Sie daher die Unterstützung durch einen erfahrenen Coach, der Sie durch diese Phase begleitet.

Ina: Wie lautet deine Empfehlung an Fach- und Führungskräfte, die sich in einer solchen Situation befinden?

Michaela: Wer sich unerwartet beruflich verändern muss, dem empfehle ich, sich genug Zeit für die Selbstreflexion und die Verarbeitung des Erlebten zu nehmen. Das kann man in Gesprächen mit dem Partner, der Familie, Freunden oder mit einem Coach tun. Ein neuer Job braucht frische Energie und Offenheit. Wer die Vergangenheit gut verarbeitet hat, kann neugierig und unvoreingenommen Beziehungen im neuen Umfeld gestalten. Wenn ich meine Erfahrungen reflektiere, kann ich das als Ressource nutzen (z.B.: „Was will ich künftig anders machen?“).

Abgesehen von all diesen guten Gründen: Selbstreflexion und Selbstregulierung werden in den immer komplexeren Marktumfeldern immer wichtiger. Gerade für Führungskräfte und Spezialisten empfiehlt es sich, innerlich Abstand zur Kränkung des vorherigen Jobs zu gewinnen, um bewusster und gestärkt in die neue Aufgabe zu gehen. Wer mit „offener Rechnung“ in einen neuen Job startet, trägt unter Umständen die eigenen Altlasten in die neue Tätigkeit hinein.

Mehr über Michaela Rau

Michaela Rau ist selbstständige Organisationsberaterin und Coach für Fach- und Führungskräfte. Vor ihrer Selbstständigkeit war sie über 22 Jahre in Experten- und Führungsrollen auf nationaler und internationaler Ebene tätig, in Konzernen und im inhabergeführten Mittelstand. Als Coach versteht sie sich als Prozessbegleiterin und bietet ihren Klienten einen wertschätzenden und sicheren Raum für Selbstreflexion, Entwicklung und neue Perspektiven.

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