"Niemand muss beim Aufbau eines Nachhaltigkeitsmanagements bei Null anfangen."

In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wächst der Druck, Nachhaltigkeit ganzheitlich zu denken – nicht nur wegen neuer gesetzlicher Vorgaben, sondern auch aufgrund wachsender Markt- und Kundenerwartungen. Kein Unternehmen kann sich heute dem Thema Nachhaltigkeit verschließen, denn jedes Unternehmen ist ein Teil irgendeiner Lieferkette. Wie kann man sich dem Thema nähern? Eine Möglichkeit könnte die engere Verzahnung und Zusammenarbeit der Bereiche Qualitätsmanagement (QM) und Nachhaltigkeitsmanagement im Unternehmen sein.
Jörg Westphal: Qualitätsmanagement und Nachhaltigkeitsmanagement in KMUs haben mehr gemeinsam als man glaubt. Christian, kannst du uns erklären, was man unter HSEQ bzw. einem integrierten Managementsystem versteht?
Christian Hechler-Wien: Integrierte Managementsysteme (IMS) als übergeordnetes System verbinden und erfassen verschiedene Managementsysteme – wie Qualitätsmanagement, Umweltmanagement, Energiemanagement und Arbeitssicherheit – als einheitliche Struktur. Quasi alles in einem System. HSEQ steht für Health, Safety, Environmental and Quality. Mit den letzten Revisionen der Managementsysteme hat man versucht, die verschiedenen Bereiche wie Arbeitssicherheit, Umweltmanagement und Qualitätssicherung zusammenzuführen. Viele Unternehmen verbinden Managementsysteme auf diese Weise und lassen diese zusammen zertifizieren. Der Vorteil? Ein übergeordnetes System, dass ganzheitlich betrachtet wird, doppelte Strukturen vermeidet, Prozesse strafft und sehr effizient ist.
Jörg: Wie lassen sich diese Systeme denn nun mit Nachhaltigkeit verzahnen? Durch das sogenannte Omnibus-Verfahren wurden viele kleinere Unternehmen von der CSRD-Berichtspflicht zunächst ausgenommen.
Christian: Beiden Systemen gemein sind die Prinzipien Risikobewertung, wesentliche Aspekte, Zielstellungen, Maßnahmen und KPIs. Sie werden ebenso in der Nachhaltigkeitsberichterstattung gefordert. Unternehmen, die bereits ein Managementsystem etabliert haben, verfügen bereits über viele relevante Daten. Wenn man diese sinnvoll aufbereitet, ist man für die Berichtspflichten wie die CSRD viel besser gewappnet.
Die EU hat mit dem sogenannten Omnibus-Verfahren einen Schritt unternommen, um die Berichtspflichten zu vereinfachen und zu bündeln. Doch klar ist, die Regulierung wird weiter zunehmen, ob der EU-Green Deal, ob branchenspezifische Anforderungen oder der Druck der Stakeholder aus dem Markt. Deshalb sollten Unternehmen diese Phase nutzen, um sich jetzt strukturell richtig aufzustellen. Und ich kann es immer nur wieder sagen, ein gutes integriertes Managementsystem ist die beste Grundlage für ein Nachhaltigkeitsmanagement.
Für kleinere Unternehmen sind aktuell freiwillige Standards wie der VSME ((Voluntary Sustainability Reporting Standard for non-listed SMEs) interessant. Sie sind nicht so umfangreich, schonen die Ressourcen erleichtern den Einstieg in das Thema Nachhaltigkeit. Dennoch bleibt nachhaltiges Wirtschaften ein zentrales Thema für jedes Unternehmen. Nachhaltigkeit gehört in Unternehmen grundsätzlich strategisch im Management verankert, damit Geschäftsmodelle nicht nur profitabel, sondern auch nachhaltiger werden.
„Kein Unternehmen muss bei Null anfangen. Managementsysteme und Nachhaltigkeit zusammen zu denken, ist die Chance für Unternehmen.“
Jörg: Wo siehst du die Verbindung zwischen klassischem Qualitätsmanagement und Nachhaltigkeit?
Christian: Beides stellt die kontinuierliche Verbesserung in den Vordergrund. Qualitätssysteme helfen, Risiken zu erkennen und zu steuern, was auch im Nachhaltigkeitskontext gilt. Ein Beispiel: Ein Sperrlager, das durch gezielte Qualitätskontrollen sicherstellt, dass keine gefährlichen Stoffe unkontrolliert entweichen, reduziert damit sowohl Umwelt- als auch Sicherheitsrisiken. Das zeigt, wie Qualitätsmanagement nicht nur die Produktqualität, sondern auch die Nachhaltigkeit stärkt. Es ist eine Chance für Unternehmen, Mehrwerte zu schaffen, Bürokratie abzubauen und das Unternehmen resilienter zu machen.
Jörg: Viele Nachhaltigkeitsmanager:innen oder QM-Beauftragte sagen: Wir liefern Input, aber das Management hört nicht zu. Was läuft da deiner Meinung nach falsch?
Christian: Das Problem ist vielschichtig und hat auch etwas mit der Entstehungsgeschichte des Qualitätsmanagements in Deutschland zu tun. Heute beobachte ich, dass es oft an einer Übersetzung fehlt. Und zwar von der Norm in die Sprache der Geschäftsführung. Es reicht nicht, rechtlich abgesichert zu arbeiten. Es reicht nicht, im Audit die Konformität nachzuweisen und das Zertifikat zu erlangen. Das greift zu kurz. Die Verantwortlichen für Qualität (und Nachhaltigkeit) müssen zeigen, welchen konkreten Nutzen das Ganze hat – für Produktivität, Markenimage, Fachkräftegewinnung. Wer den Nutzen in einfachen, überzeugenden Worten erklären kann, der wird gehört.
Viele Unternehmen setzen Qualitätsmanagement viel zu reaktiv ein, um Zertifikate zu erhalten, gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen oder Lieferanten-Anforderungen zu erfüllen. Oft ist Qualitätsmanagement sogar ein „lästiges Übel“. Dabei kann Qualitätsmanagement viel leisten: die Effizienz steigern, die Unternehmens Resilienz erhöhen und das Unternehmen insgesamt widerstandsfähiger machen.
Jörg: Was also braucht es, um in Unternehmen Qualität oder Nachhaltigkeit voranzubringen? Das Normenwissen allein reicht nicht, oder?
Christian: Da ich selbst Auditor bin, weiß ich, dass es vor allem auf Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Verhandlungsgeschick und Einfühlungsvermögen ankommt. Qualitätsmanagement und vor allem Nachhaltigkeit in Unternehmen dauerhaft und erfolgreich zu verankern, das ist ein Marathon. Die enge Zusammenarbeit mit allen Stakeholdern eines Unternehmens über Hierarchiegrenzen hinweg, der Wille zur Zusammenarbeit und zur Kooperation sind wichtig. Es gehört die Bereitschaft dazu, von eigenen Vorstellungen Abstand zu nehmen, wenn klar ist, dass das Unternehmen (noch) nicht so weit ist. Deshalb gehört auch Zähigkeit und Durchhaltevermögen dazu.
Jörg: Und wie kann man die Mitarbeitenden den Nutzen von Nachhaltigkeit und Qualität verdeutlichen, so dass sie sich stärker selbst einbringen?
Christian: Aus meiner Sicht hilft es, wenn man den individuellen Nutzen für den Einzelnen klar kommuniziert: Wie profitieren Mitarbeitende persönlich? Was hat das Unternehmen davon? Es geht darum, den Sinn hinter den Maßnahmen verständlich zu machen und aufzuzeigen, wie sich das auf die Zukunft auswirkt – etwa durch bessere Arbeitsbedingungen, Innovationen oder langfristige Sicherheit. Es reicht eben nicht nur, Vorgaben zu machen. Die Menschen müssen den Zusammenhang erkennen und sich damit identifizieren. Nur so kann eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Unternehmenskultur entstehen.
Lieber Christian, vielen Dank für das Gespräch.
Über Christian Hechler-Wien:
Christian Hechler-Wien ist Leiter Vertrieb und Business Development bei der Leadity GmbH. Das Unternehmen bietet mit "Leadity" eine umfassende digitale Nachhaltigkeitslösung für Unternehmen für Reporting, Management und Strategie und vereint alle wichtigen Standards in einem System.
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