"In Zeiten von Fachkräftemangel ist die Integration neuer Mitarbeiter essenzielle Führungsaufgabe!"

Als systemischer Business Coach begleitet Michaela Rau das Onboarding von neuen Fach- und Führungskräften, um deren zügige Integration zu fördern und die Mitarbeiterbindung zu stärken. Im Interview erläutert sie, was einen guten Onboardingprozess ausmacht, welche zentrale Rolle Führungskräfte spielen und welchen Beitrag Coaching als Onboardinginstrument leisten kann.

Michaela Rau, Sie waren selbst viele Jahre in Unternehmen tätig. Wie waren Ihre Onboarding-Erfahrungen?

Ein richtig gutes Onboarding, das über administrative Basics und fachIiche Einarbeitungspläne hinausgeht, habe ich leider selten erlebt. Auch meine Coachingklientinnen und -klienten machen diese Erfahrungen. Es gibt immer noch den Klassiker des fehlenden technischen Equipments und eines nicht eingerichteten Arbeitsplatzes. Einige berichten auch von Aufgaben, die nichts mit der eigentlichen Stellenbeschreibung zu tun haben, von unklaren Zielvorgaben und von Führungskräften, die nicht ausreichend für Abstimmungen und Feedbacks greifbar sind.

Wie erleben Ihre Coachingkundinnen und -kunden diese Situationen?

Eine meiner Klientinnen sagte einmal, sie sei im Onboarding „auf den Boden der Tatsachen“ geholt worden. Der Bewerbungsprozess war gut verlaufen, sie war dem Unternehmen gegenüber sehr positiv eingestellt, und dann verspielte das Unternehmen mit Arbeitsbeginn die Chance auf eine frühzeitige Leistungsfähigkeit und eine langfristige Bindung. Im schlimmsten Fall verlässt ein solches Teammitglied das Unternehmen noch in der Anfangsphase.
Ein Viertel der neu Eingestellten kündigt innerhalb der Probezeit. Das ist eine alarmierende Zahl! Der ganze Rekrutierungsaufwand geht dann von vorne los. Ganz zu schweigen von der Frustration in einem unterbesetzten Team, das sich gerade auf eine neue Person eingestellt hatte und nun doch wieder zusätzliche Aufgaben schultern muss.

Was raten Sie Ihren Kundinnen und Kunden auf der Unternehmensseite?

Ich denke, dass das Problem der Frühfluktuation für die meisten Personalerinnen und Personaler präsent ist. Ein Teil der Lösung ist sicher ein strukturierter Onboardingprozess, der neben den administrativen Prozessen und der fachlichen Einarbeitung auch eine sozial-kulturelle Integration bietet, um die neuen Fach- und Führungskräfte willkommen zu heißen, sie an das Unternehmen zu binden und sie zügig zu produktiven Teammitgliedern zu entwickeln. Fast die Hälfte der Unternehmen konzentriert sich nach wie vor auf die fachliche Einarbeitung. Dabei scheitern hoch ausgebildete Fach- und Führungskräfte selten an den fachlichen Fähigkeiten. Oft fehlt es hingegen am Verständnis der kulturellen Normen und Werte des neuen Unternehmens sowie am Wissen über Machtzentren und Entscheidungsstrukturen. Und manchmal sind auch die eigene Rolle, die Ziele und Erwartungen einfach noch nicht klar.

„Hoch ausgebildete Fach- und Führungskräfte scheitern selten an den eigenen fachlichen Fähigkeiten. Oft fehlt es hingegen am Verständnis der kulturellen Normen und Werte des neuen Unternehmens sowie am Wissen über Machtzentren und Entscheidungsstrukturen.“
Michaela Rau, Business-Coach, Expertin für Personal-, Organisationsentwicklung und Kommunikation

Welche Rolle spielt das Coaching im Onboarding?

Wenn wir über einen strukturierten Onboardingprozess sprechen, dann kann der Eindruck entstehen, dass dieser Prozess nur einmal aufgesetzt werden muss, um das Onboarding aller neuen Mitarbeitenden gut zu begleiten. Allerdings können überall dort, wo Menschen mit Menschen zusammenarbeiten, in einer noch unbekannten Unternehmenskultur mit ungeschriebenen Regeln, individuelle Fragestellungen auftauchen, für die sich neue Fach- oder Führungskräfte einen Sparringspartner für die (Selbst-)Reflexion wünschen. 11% der Unternehmen setzen in dem Fall Coaching als Element im Onboardingprozess ein.
Das gilt ganz besonders für Positionen, die von vorneherein mit Herausforderungen, einer hohen Zielerwartung oder der Notwendigkeit hoher Problemlösungskompetenz verknüpft sind. Es gilt für Fachkräfte, die in ihre erste Führungsposition wechseln oder die eine Stabstelle mit lateraler Führung übernehmen oder für eine neu geschaffene Position, in der zu Beginn viel Pionierarbeit geleistet werden muss.
Coaching kann auch für Führungskräfte hilfreich sein, die von außen in größere Unternehmen mit komplexeren (Matrix-)Strukturen wechseln oder deren Abteilung in der Transformation steckt oder in der es bekannte Konflikte zu bewältigen gibt. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen ein Coaching den Standardprozess sinnvoll ergänzen und Anpassungsschwierigkeiten frühzeitig entdecken und ausräumen kann.

„Überall dort, wo Menschen mit Menschen zusammenarbeiten, in einer noch unbekannten Unternehmenskultur mit ungeschriebenen Regeln, können individuelle Fragestellungen auftauchen, die nicht von einem standardisierten Onboardingprozess abgedeckt werden können und für die sich neue Fach- oder Führungskräfte einen Sparringspartner für die (Selbst-)Reflexion wünschen.“
Michaela Rau

Was sind typische Onboarding-Themen im Coaching?

Meiner Erfahrung nach geht es bei Coachingprozessen im Onboarding um die Reflexion und Lösungsfindung in Bereichen wie Strategieentwicklung, Selbstmanagement und Fokussierung, Kommunikation und Zusammenarbeit, Führung sowie Change-Management.
Da kann es zum Beispiel um Schwierigkeiten beim Beziehungsaufbau mit dem Team gehen, um unklare Erwartungen der vorgesetzten Führungskraft, um Kommunikationsschwierigkeiten oder um die Stärkung der Führungskraft in herausfordernden Situationen wie einer Transformation oder bei Konflikten. Es kann aber auch darum gehen, das eigene Führungsverständnis in Bezug auf die neue Rolle oder die noch unbekannte Unternehmenskultur zu reflektieren und die Person für die systemischen Zusammenhänge des neuen Unternehmens zu sensibilisieren. Oder es geht um die Bewältigung von Unsicherheiten bei der Strategieentwicklung und Fokussierung für sich selbst und/oder den neuen Arbeitsbereich.

Welche Onboarding-Aufgaben liegen bei der vorgesetzten Führungskraft?

Ohne Frage ist die Integration der neuen Fach- oder Führungskraft in das Team und das Unternehmen eine Führungsaufgabe. Aufgaben wie Zielvereinbarungen, Mitarbeiter- und Feedbackgespräche oder Leistungsbeurteilungen können nicht delegiert werden. Ich würde sogar sagen: Es ist die dauerhafte Präsenz der Führungskraft im Onboarding gefordert.
Die Realität in den Unternehmen zeigt aber, dass diese wünschenswerte dauerhafte Präsenz für manche Vorgesetzte eine Herausforderung ist. Die Arbeitsverdichtung und der Fachkräftemangel hinterlassen auch dort Spuren und führen in der Regel zur Übernahme von operativen Aufgaben. Umso mehr in Unternehmen, in denen die Kultur den Schwerpunkt auf Fachaufgaben zulasten von Führungsaufgaben legt.
Als Coach kann ich die Führungskraft für die eigene Rolle im Onboardingprozess sensibilisieren und sie dabei unterstützen, die eigenen Erwartungen an das neue Teammitglied zu reflektieren. Ich kann als Sparringspartner dabei helfen, zentrale Onboardingaufgaben konkret vorzubereiten. Dazu gehört z.B. die Reflexion, welche Herausforderungen mit der Position verbunden sind, welche Erwartungen in Bezug auf Kommunikation und Abstimmung bestehen und welche Informationen zum Markt, der Strategie und den Stakeholdern für das Onboarding relevant sein werden. Am Ende entscheidet die Qualität des Onboardingsprozesses maßgeblich darüber, ob sich neue Mitarbeitende langfristig an das Unternehmen binden oder ob erneut Zeit und Geld in die Rekrutierung fließt.

Lesetipp: 5. Haufe-Onboarding-Studie 2021

Zur Person:

Michaela Rau studierte Politik- und Medienwissenschaften sowie Angewandte Gesundheitswissenschaften und arbeitete viele Jahre in der Gesundheitswirtschaft. Sie ist darüber hinaus als Systemischer Business Coach (ECA) und Beraterin für Organisationsentwicklung ausgebildet und unterstützt Unternehmen u.a. mit Coaching, die den Onboardingsprozess sicher gestalten möchten.

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Mehr zur Unterstützung von Unternehmen beim Onboarding neuer Mitarbeiter finden Sie hier.