„Frauen lernen, nach der Macht zu greifen und diesen Gestaltungsspielraum zu genießen“

Wie Frauen in Top-Führungspositionen vordringen und warum die Schneegrenze besser als Metapher taugt als die Gläserne Decke, beantwortet Claudia Cornelsen, Kommunikationsberaterin und Coach.

© Foto: Oliver Betke

Frau Cornelsen, wer braucht Ihre Unterstützung?
Ich berate vor allem Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft – sehr gerne Frauen, aber auch Männer. Dazu gehören Menschen, die häufig in der zweiten Reihe stehen, vielleicht auch übersehen werden, aber viel Potenzial haben, in Macht- und Gestaltungspositionen zu gelangen.

Mit dem Wort „Macht“ haben wir Deutschen Schwierigkeiten, oder?
Nach meiner Erfahrung tun sich Frauen genauso schwer wie Männer: Karriere, Führung, Geld, Macht sind miteinander verwoben. Ja, Macht hat hierzulande einen schweren Stand, ist geradezu verpönt. In der deutschen Geschichte haben wir extremen Machtmissbrauch erlebt, weswegen viele eine Aversion gegen Macht entwickeln. Das englische Wort Power wird anders wahrgenommen, steht mehr für die positiv konnotierte Kraft und Energie. Auch ein „Leader“ ist etwas anderes als ein „Führer“.

„In der deutschen Geschichte haben wir extremen Machtmissbrauch erlebt, weswegen viele eine Aversion gegen Macht entwickeln. Das englische Wort Power wird anders wahrgenommen.“
Claudia Cornelsen

Was empfehlen Sie, wie wir stattdessen auf Macht blicken sollten?
Eine Machtposition ist ein Gestaltungsraum. Wie wir unsere Welt gestalten, ist unsere freie Entscheidung – autoritär, kooperativ oder laissez faire. Macht per se ist nicht schlecht. Es kommt darauf an, wie man sie nutzt, wie man mit Menschen umgeht, Teams entwickelt. Die Summe aus Karriere, Führung, Geld und Macht bedeutet, Entscheidungen zu treffen und zu tragen – bewusst, reflektiert, selbstkritisch. Ist man erst mal in einer Top-Position angekommen, geht es weniger um Teamführung als um Repräsentanz. Auch das muss man erstmal lernen und üben, wie es einem leicht von der Hand geht und man sich als „Königin“ oder „König“ durchs Leben bewegt. Veränderung fällt immer schwer. Wir können uns intellektuell viel vornehmen, aber emotional bleibt es eine Herausforderung – wie bei jedem Vorsatz: der Weg von der Idee zur Umsetzung ist weit. Einsicht allein reicht nicht.

Täuscht die Beobachtung, dass Frauen sich schwerer als Männer damit tun, bewusst eine Karriere zu machen, nach der Macht zu greifen?
Wir üben noch, und zwar alle: Frauen lernen, Macht zu haben und zu genießen. Männer lernen, Macht abzugeben oder neue Machtgesichter zu respektieren. Wir sind andere Rollenbilder gewohnt. Frauen waren lange Zeit die Machtlosen in der Gesellschaft. Wenn sie jetzt mehr Macht wollen, ist das erst einmal ein Kulturbruch. Also müssen wir Auge, Hirn und Herz trainieren. Die Verunsicherung rührt daher, dass viele erwarten, man könne aus dem Stand einen Marathon laufen. Insofern bin ich Trainerin des Wandels. Ich lobe, ich motiviere und ich fordere Leistungssteigerung. Meine Kundinnen und Kunden machen sich bewusst, dass sie längst nicht mehr im Krabbelstadium sind. Sie können bereits gehen. Dann gehen sie etwas schneller, irgendwann fallen sie in den Laufschritt und so nehmen sie allmählich Tempo auf. Im gesamten Leben geht es um Weiterentwicklung. Niemand möchte ein Leben lang auf derselben Stelle verharren, egal, was man beruflich macht. Wir alle suchen ständig neue Herausforderungen. Nichts anderes heißt Karriere.

„Man steigt nicht allein in eine Top-Position auf. Frauen lernen als Kinder leider selten Teamsport. Jungs dagegen erfahren schon beim Kicken auf dem Schulhof: Einer gibt die Flanke, der andere köpft den Ball ins Tor. So funktioniert Erfolg!“
Claudia Cornelsen

Die Gläserne Decke: Wo liegt sie?
Die Gläserne Decke halte ich für die falsche Metapher. Ich rede lieber von der Schneegrenze in den Bergen. Sie markiert den Unterschied zwischen Wandern und Bergsteigen. Bis dahin kann man sich mit halbwegs solidem Schuhwerk gut durchschlagen, es gibt ordentliche Wege und Beschilderung. Ab der Schneegrenze sind Wege unter dem Schnee nicht mehr erkennbar, die Beschilderung fehlt. Man braucht jemanden, der den Berg kennt. Man braucht im wahrsten Sinne des Wortes eine belastbare Seilschaft: Leute, auf die man sich verlassen kann, die auch Notsituationen mit einem durchstehen. Das gleiche gilt für die berufliche Karriere: Man steigt nicht allein in eine Top-Position auf. Frauen lernen als Kinder leider selten Teamsport. Jungs dagegen erfahren schon beim Kicken auf dem Schulhof: Einer gibt die Flanke, der andere köpft den Ball ins Tor. So funktioniert Erfolg!

Weil sie als Mädchen in der Schule gute Noten bekamen, glauben viele Frauen irrtümlich, im Leben zähle die individuelle Leistung. Im Berufsleben herrschen andere Regeln: Teamgeist, Loyalität, wechselseitiges Ver- und Zutrauen. Manche trainieren das schon im Kindergarten, die meisten fangen damit erst im Berufsleben an. So müssen sie eben nachsitzen (lacht).

Mit Blick auf die kommenden zehn Jahre: Was sind die wichtigsten Herausforderungen für den Arbeitsmarkt?
Stärkster Trend ist die Demokratisierung des Arbeitsmarktes: Unternehmen haben erkannt, dass in jedem Menschen unglaubliches Potenzial steckt, dass er als Individuum für die Firma und die Aufgaben wertvoll ist. Das führt fast zwangsläufig dazu, dass jeder Person ein Mitspracherecht zugebilligt wird. Arbeitsorganisationen entwickeln sich immer stärker weg von starren Pyramidenorganigrammen hin zu kooperierenden gleichberechtigten Netzwerk-Gemeinschaften. Mit den Hierarchien geraten auch die Wertesysteme ins Wanken. Führungskräfte werden bald nicht mehr automatisch mehr Geld verdienen. Akademiker nicht selbstverständlich besser bezahlt als Handwerker. Natürlich ist die Führungsaufgabe wichtig, aber die Spezialaufgabe, die Fachaufgabe ist für das Unternehmen genauso wichtig und manchmal sogar finanziell wertvoller. Die Bezahlung nach Organigrammhierarchie ist veraltet. Da wird in den nächsten Jahren viel passieren.

Zur Person

Claudia Cornelsen (Jg. 1966) absolvierte ein geisteswissenschaftliches Studium mit den Schwerpunkten Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie, während dessen sie immer journalistisch und unternehmerisch tätig war. 1993 gründete sie eine Agentur für Wirtschafts- und Non-Profit-Kommunikation in Mannheim und Berlin. Seit 2014 berät sie mit ihrer Berliner Personality-PR-Agentur Parnass Frauen und Männer im Topmanagement.