„Es gibt tolle Innovationen, die seit Jahren im Zulassungsverfahren festhängen“ Digitale Transformation im Gesundheitsmarkt (Teil 9)
Als Experte für die Erstattung von Medizintechnik begleitet Harald Kuhlmann Hersteller auf dem Weg in den deutschen Gesundheitsmarkt. Ist diese Hürde irgendwann genommen, erzählt Kuhlmann, brauchen die Unternehmen spezialisierte Vertriebsleute, die nicht nur verkaufen können.

Sie sind Partner beim Beratungsunternehmen inspiring-health. Welche Unternehmen kommen zu Ihnen?
Wir beraten Hersteller aus der Medizintechnik und Diagnostik und auch einige Pharmaunternehmen über die Wege in die Erstattung in unterschiedlichen europäischen Ländern. Deutschsprachige Länder sind unser Schwerpunkt, für andere Länder arbeiten wir mit einem Beraternetzwerk zusammen. Überall in der EU sehen die Wege in die Erstattung anders aus, was die Hersteller natürlicher vor enorme Herausforderungen stellt. Die Märkte in den USA und Asien sind im Vergleich dazu deutlich zugänglicher.
Womit haben die Hersteller besonders zu kämpfen?
Zum Beispiel damit, dass die Behörden unterschiedliche Anforderungen an Erprobungsstudien stellen. In dem einen Land steht die Wirtschaftlichkeit stärker im Vordergrund, in einem anderen der Nutzen. In Frankreich wird ein Produkt bewertet, in Deutschland eine Methode. Zudem fehlt es überall an ‚Benannten Stellen‘ und Mitarbeitern. Das führt dazu, dass viele tolle Innovationen jahrelang im System festhängen.
Was muss ein Hersteller in Deutschland denn beweisen, damit seine Methode als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse zugelassen wird?
Das ist im stationären und ambulanten Bereich unterschiedlich geregelt. Im Krankenhaus können Methoden abgerechnet werden, solange sie nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ausgeschlossen wurden. Stellt der G-BA fest, dass eine Methode für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten nicht erforderlich ist, dürfen Krankenhäuser sie nicht mehr abrechnen. Anders sieht das Verfahren bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten aus: Sie dürfen Methoden erst dann als Kassenleistung anbieten, wenn der G-BA sie für den ambulanten Bereich geprüft hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass ihr Einsatz für Patientinnen und Patienten einen Nutzen bringt, notwendig und wirtschaftlich ist. Der ambulante Bereich wird für die Hersteller immer wichtiger.
Warum ist das so?
Weil es für viele Behandlungen nicht nötig ist, ins Krankenhaus zu gehen, und immer mehr Innovationen für diesen Sektor entwickelt werden. Aber der Weg zur Erstattung ist zäh! Fünf Jahre muss ein Hersteller in Deutschland für den Prozess einplanen. Einer meiner Kunden wartet seit 14 Monaten auf einen Beratungstermin beim G-BA! Ist das geschafft, müssen Hersteller ein Dossier einreichen, eine Literaturanalyse anfertigen und meist auch eine Erprobungsstudie entwickeln und durchführen. Für so eine Studie brauchen sie mindestens zwei Jahre. Und das alles, bevor sie überhaupt wissen, ob das Produkt erstattungsfähig sein wird.
Was bedeutet das für das Recruiting der Hersteller? Welche Anforderungen stellen sie an ihre Mitarbeiter?
Während die Hersteller für den Zulassungsprozess auch auf externe Beraterinnen und Berater wie uns zurückgreifen können, brauchen sie nach erfolgreicher Zulassung Profis für den Vertrieb. Und dort wird es immer komplexer und arbeitsteiliger: Bei spezialisierten Produkten mit hohem Erklärungspotenzial werden Produktfachleute gebraucht, die die Anwender trainieren und sie über längere Zeit betreuen. Muss zum Beispiel ein Neurostimulator – das ist ein Implantat, das unter der Haut elektrische Impulse an bestimmte Nerven sendet – neu eingestellt werden, übernimmt das eher der Außendienstmitarbeiter als der Arzt oder die Ärztin. Dafür werden gern Pflegefachkräfte eingestellt, weil sie sich mit der Patientenversorgung auskennen.
Und der klassische Vertrieb – braucht es den noch?
Den braucht es weiterhin. Verkäuferinnen und Verkäufer müssen sich aber mit der Erstattung auskennen und den Gesundheitseinrichtungen erklären können, wie hoch das Einsparpotenzial eines Produkts ist, wie es erstattet wird und wie die Codierung im System funktioniert.
Welches Marketing-Know-how benötigen die Hersteller?
Sie brauchen Marketingfachleute, die das Potenzial von Social Media richtig nutzen können – und das dann von Unternehmensseite auch machen dürfen. Daran hapert es oftmals. Es ist nicht damit getan, schöne Bilder von Produkten in den sozialen Medien zu posten. Vielmehr kommt es auf die Interaktion mit den Anwendern an. Wer scannt Patientenforen und beantwortet die Fragen dort? Im Bereich Patientenansprache ist definitiv noch Luft nach oben, auch wenn das Heilmittelwerbegesetz enge Vorgaben macht.
Wie gehen Sie in Ihrem Beratungsunternehmen das Recruiting an?
Neue Mitarbeiter kommen meist über ein Praktikum oder über eine Werkstudententätigkeit zu uns. Nach dem Studium – in der Regel handelt es sich um einen Gesundheitsmanagement-Studiengang – bleiben sie dann bei uns. Corona hat allerdings ein Loch in unsere Praktikanten- und Studentenakquise gerissen. Neue Leute kann man ja auch nicht aus dem Homeoffice betreuen.
Sind Sie offen für Quereinsteiger?
Auf jeden Fall. Ich selbst bin ja ausgebildeter Kinderkrankenpfleger und kam aus dem Krankenhausmanagement auch als Quereinsteiger in die Industrie. Ich würde zum Beispiel liebend gern jemanden aus dem Krankenkassenumfeld einstellen. Die Vermittlung der speziellen Kenntnisse ist dann unsere Aufgabe. Bislang wäre ich bei jemandem ohne Gesundheitsbackground zurückhaltend, aber vielleicht müssen wir bei der Suche auch noch offener werden. Dann muss das deutsche Gesundheitssystem Teil der Einarbeitung sein. Wir haben ja sowohl die Industrie als auch Player wie den den G-BA als Mitbewerber um Fachkräfte. Das macht es nicht einfacher.
Zur Person:
Harald Kuhlmann arbeitet seit mehr als 14 Jahren im Bereich Market Access, die vergangenen zwei Jahre bei inspiring-health, einem Münchener Beratungsunternehmen, das auf Marktzugang und Kostenerstattung von Medizintechnik spezialisiert ist. Inzwischen ist er Partner. Vorher war Harald Kuhlmann als Market-Access-Experte für diverse Industrieunternehmen tätig, zuletzt für den US-amerikanische Medizintechnikhersteller Nevro. Er hat eine Ausbildung zum Kinderkrankenpfleger absolviert und ist diplomierter Pflegewirt.
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