Digitale Zukunft braucht neue Kompetenzen

Die hundertprozentige Passung auf ein Jobprofil gibt es nicht. Nur, wie können Mitarbeitende in Zukunft erfolgreich im Job sein? Souveränes Arbeiten in einer digitalen Welt braucht neue überfachliche Kompetenzen. Unser Diskussionsbeitrag.

Unbestritten befinden wir uns mitten in einer umfassenden Transformation, die nur unzureichend mit dem Begriff Digitalisierung umschrieben ist. Vielmehr geht es um eine Veränderung in fast allen Lebensbereichen. Die Digitalisierung wird vieles verändern: wie wir arbeiten, leben, wirtschaften oder denken. Wir werden die Entwicklung zu einer smarten Industrie erleben. Die Veredelung von enormen Datenmengen in smarte Daten führt zu neuen Geschäftsmodellen, Services und Plattformstrategien. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungen, die damit einhergehen, werden umfassend und unumkehrbar sein. Alles in allem haben wir es mit einer drastischen Umwälzung zu tun, die insbesondere die Art wie wir künftig arbeiten, beeinflussen wird.

Wir als Personalberatung arbeiten für Unternehmen aus Wirtschaftszweigen wie der Gesundheitswirtschaft, der TIC-Industrie (TIC steht für Testing, Inspection and Certification) und den unternehmensnahen Dienstleistungssektor. Allein diese drei Branchen spüren schon heute deutlich die Auswirkungen neuer Technologien, künstlicher Intelligenz, Big Data u. a. Wir sind darauf spezialisiert, in „engen“ Bewerbermärkten Stellen zu besetzen. Dabei handelt es sich häufig um Experten-Vakanzen, bei denen sich das Jobprofil innerhalb weniger Jahre verändert.

Ein Beispiel für die Auswirkungen der Digitalisierung auf Jobprofile:
Suchte man bis vor zwei Jahren in der TIC-Branche noch Auditoren, die ausschließlich beim Kunden vor Ort sogenannte Managementsysteme begutachten und auditieren, so werden heute – auch infolge von Corona – Auditoren benötigt, die Remote-Audits durchführen können. Auditor und Auditierte befinden sich während des gesamten Prozesses an unterschiedlichen Orten. Neben der Bedienung der Hard- und Software an verschiedenen Orten, bedarf es spezieller Kenntnisse zu Daten- und Informationssicherheitsfragen, bedarf es ausgezeichneter Online-Kommunikationsfähigkeiten und Problemlöse- bzw. Konfliktlösekompetenz.

Anforderungsprofile zu erheben ist unerlässlich
Alle Unternehmen wollen die passenden Mitarbeitenden für ihre freien Stellen besetzen. Gerade in Zeiten, in denen in einigen Branchen bereits akuter Mangel an Personal herrscht. Das ist jedoch nur dann möglich, wenn im Vorfeld eine systematische Anforderungsanalyse stattfindet. Erst auf dieser Grundlage kann eine Auswahl von Kandidaten erfolgen.
Eine systematische Anforderungsanalyse nehmen wir beispielsweise – gemäß der DIN 33430 - vor, indem wir mit dem einstellenden Fachbereich und HR gemeinsam alle Informationen zur Stelle erheben:

  • Hauptaufgaben des Stelleninhabers,
  • Leistungsmerkmale, die er/sie zu erfüllen hat,
  • erfolgskritische Situationen, denen er/sie sich stellen muss und die über Erfolg oder Misserfolg des Stelleninhabers entscheiden,
  • Informationen zu Unternehmenskultur und Führungsleitbildern,
  • Ziele des Bereiches

Wir führen hierfür in den Unternehmen strukturierte Interviews durch und nutzen die „critical-incident technique“ (CIT). Aus den so gewonnenen Informationen lassen sich die wesentlichen Eigenschafts- und Verhaltensanforderungen ableiten. Es entsteht ein Anforderungsprofil, das wesentliches Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erhebt und aus dem sich übergeordnete Anforderungsdimensionen ergeben. Die systematische Erhebung eines Anforderungsprofils hat zudem den Vorteil, dass sich daraus verhaltensbasierte Methoden für den diagnostischen Auswahlprozess ableiten lassen und ein diagnostisch fundierter Auswahlprozess entwickelt werden kann. (hier als Beispiele: situativ-biografisches Interview, Fallstudien, Einsatz diagnostischer Fragebögen etc.).

Anforderungsprofile haben heute eine geringere Halbwertzeit
Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre nehmen wir mit, dass sich die überwiegende Mehrheit der Jobprofile in den Unternehmen – in fast allen Bereichen, Branchen, Funktionen – den neuen, digitalen Anforderungen anpassen müssen. Wir sehen, dass Jobanforderungen, die vor drei Jahren noch galten, heute zum Teil obsolet sind. Wenn wir ein Anforderungsprofil erstellen im Rahmen eines Suchauftrages, fragen wir unsere Kunden deshalb auch:

  • Was wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Ihrem Markt/in Ihrer Branche verändern?
  • Welche Innovations- und Technologie-Fortschritte sind konkret zu erwarten?
  • Wie wirkt sich das auf diese Vakanz genau aus?
  • Welche kritischen Situationen infolge der technologischen/digitalen Entwicklungen sind für den Jobinhaber jetzt und in Zukunft zu erwarten?

Was braucht der Mitarbeitende in Zukunft an überfachlichen Schlüsselkompetenzen, um die Arbeit der Zukunft zu bewältigen?
Wir betrachten hier nicht IT-/technische oder hochtechnologische Kompetenzen, sondern ausschließlich überfachliche Kompetenzen – also Persönlichkeits- und soziale Kompetenzen.
In unseren Kernbranchen untersuchten wir die Entwicklungen der Anforderungsprofile der letzten Jahre genauer und leiteten wichtige Meta-Kompetenzen ab. Im Anschluss betrachteten wir (Auswertung aktueller Studien und Branchenreports), ob und wie dies auch auf andere Branchen zutrifft. Schließlich haben wir uns die Wirkungsbereiche der Digitalisierung auf Unternehmen näher angesehen, aus der Trend- und Zukunftsforschung bekannte Zukunftsszenarien abgeleitet und daraus die Kern-Anforderungen für überfachliche Kompetenzen an Mitarbeitende bestimmt.

In der Zusammenfassung haben wir folgende acht überfachliche Kompetenzen herausgearbeitet, die angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und der Entwicklung neuer Arbeitsformate benötigt werden:

  1. Kooperationsfähigkeit (Fähigkeit hierarchieübergreifend zusammenzuarbeiten)
  2. Netzwerkfähigkeit (Fähigkeit, Beziehungen zu knüpfen und zu netzwerken)
  3. Veränderungsbereitschaft (Fähigkeit, resilient und verantwortungsbewusst mit Veränderungen umzugehen)
  4. Offenheit (Fähigkeit, offen mit Neuem und Digitalem umzugehen)
  5. Ambiguitätstoleranz (Fähigkeit, mit Mehrdeutigkeit und Komplexität umzugehen)
  6. Reflexionsfähigkeit (Fähigkeit, sich kritisch mit Wissen, Informationen und neuen Erfahrungen auseinanderzusetzen)
  7. Lernfähigkeit und -bereitschaft (Bereitschaft und Fähigkeit, sich fortwährend neues Wissen anzueignen)
  8. Problemlösekompetenz (Fähigkeit, Informationen und Situationen zu verstehen, zu analysieren und zu lösen)

Kennen Sie schon unsere Beitragsreihe "Meta-Kompetenzen der Zukunft"?

Hier stellen wir Ihnen sechs überfachliche Kompetenzen näher vor, erläutern, wie Führungskräfte diese bei BewerberInnen und Mitarbeitenden erkennen, beobachten und überprüfen können. Und wir geben Tipps, wie Sie Ihre Mitarbeitenden in der Kompetenzentwicklung unterstützen können. Und das Beste: Sie finden in jedem Beitrag die Chance mittels Fragebogen sich und Ihre Mitarbeitenden auf die jeweilige Kompetenz (in Kombination mit den Big-Five-Kompetenzen) hin zu testen.
In der Serie bereits erschienen, sind:
Kooperationsfähigkeit
Netzwerkfähigkeit
Veränderungsbereitschaft

Was bedeutet dies für Organisationen und Arbeitsmarkt-ExpertInnen?
Während einige Experten Szenarien einer hohen Arbeitslosigkeit infolge der Entwicklung künstlicher Intelligenz, Robotik und Big Data zeichnen, weisen neuere Studien die Entstehung einer Vielzahl neuer Jobs aus. Die Wahrheit liegt hier wie so oft in der Mitte: Die Interaktion mit Menschen, um komplexe und schwierige Themen zu verstehen und zu lösen – bleibt immer noch uns Menschen vorbehalten. Tätigkeiten also, in denen zum Beispiel die soziale Intelligenz im Umgang mit Menschen gefragt ist, oder solche, die Kreativität erfordern. Aber auch Berufe, die in komplexen Umgebungen das richtige Handeln erfordern und verlangen, auf Unvorhergesehenes reagieren zu können, haben eine Zukunft. Das sind die Jobs, die nicht der Automatisierungswelle unterliegen werden.

Es ergeben sich mehrere Handlungsfelder:
Handlungsfeld 1: Es ist zwingend, die Anforderungsprofile aller Positionen im Unternehmen den künftigen, digitalen Herausforderungen anzupassen. Deshalb kommt der systematischen Erhebung des Anforderungsprofils für jede Stelle im Unternehmen eine immense Bedeutung zu.

Handlungsfeld 2: Nicht nur bei Neueinstellungen sollten Mitarbeitende auf digitale Fertigkeiten, Wissen und überfachliche Kompetenzen hin geprüft werden. Auch das vorhandene Personal – und zwar generationenübergreifend – muss die nötige digitale Handlungsfähigkeit erhalten. Sowohl durch Qualifizierung als auch durch den Einsatz der Mitarbeitenden in Projekten oder wechselnden Arbeitsumgebungen. Das ist keine leichte Aufgabe, da Qualifizierungsbedarf und Wissensstand sehr verschieden sind.

Handlungsfeld 3: Kompetenzbedarfe in Organisationseinheiten müssen für die Zukunft prognostiziert und Kompetenzdefizite der Mitarbeitenden (im Einzelnen) erhoben werden. Dies ist ein fortlaufender Prozess, der von HR ausgestaltet werden muss.

Handlungsfeld 4: Bedarfsgerechte, multimediale Weiterbildungsangebote sind entscheidend, um künftige Marktanforderungen zu bewältigen.

Handlungsfeld 5:Individuelle Weiterbildungsbudgets: Mitarbeitende sollten künftig Weiterbildungen einfordern dürfen, denn sie signalisieren so, dass Sie offen für Neues und veränderungsbereit sind. Dazu gehört eben nicht nur das Fachseminar (der neue „Maschinenlehrgang X“), sondern auch Weiterbildungsformate zur Persönlichkeitsentwicklung. Unternehmen werden hier umdenken müssen, wenn Sie ihr Personal langfristig an sich binden wollen. Waren früher Fortbildungen eher als Belohnung für Mitarbeitende gedacht, ist heute lebenslanges Lernen ein Muss.

Handlungsfeld 6: Lernen in überbetrieblichen Kooperationen und vor allem das Selbstlernen (nicht nur auf Distanz) zu jeder Zeit und an jedem Ort. Dies trägt dazu bei, die Handlungsfähigkeit der Mitarbeitenden sicherzustellen.

Handlungsgeld 7: Führende haben den Auftrag, Rahmenbedingungen für Mitarbeitende zu schaffen, damit diese richtig eingesetzt bestmöglich arbeiten können. Das erfordert moderne Führung und wiederum Angebote an Führende, um diese Fähigkeiten zu erlernen.

Handlungsfeld 8: Moderne Recruiting-Prozesse sollten gemäß DIN 33430 ausgestaltet sein und zugleich eine positive Kandidatenerfahrung erzeugen. Wichtig: Für Neueinstellungen sind Anforderungsprofile zu aktualisieren. Die Passung auf das Anforderungsprofil wird im Interview/Auswahlprozess überprüft. In Zeiten von Bewerbermangel gilt es zudem, bei Nichtpassung Qualifizierungs- und Einarbeitungsbedarfe zu erkennen, so dass ggf. „Quereinsteigern“ mit Potenzial eine Chance gegeben werden kann.

Fazit: Digitalisierung trifft nicht allein die Unternehmen. Sie ist mindestens genauso herausfordernd und manchmal auch beängstigend für Mitarbeitende, deren Jobs bedroht sind oder sich grundlegend ändern werden. Digitale Zukunft braucht deshalb wesentliche überfachliche Kompetenzen.

Was ist die gute Nachricht?

  • auch in Zukunft bleibt vieles, was die Interaktion mit Menschen fordert, um komplexe Themen verstehen und zu lösen, uns Menschen vorbehalten.
  • in Zeiten des demografischen Wandels und dem zunehmenden Fachkräftemangel verliert KI ihren Schrecken, weil es uns von ständig wiederkehrenden, monotonen Tätigkeiten entlasten kann.
  • Unternehmen können mit bedarfsgerechter, individueller, auf Selbstlernen und Erfahrungslernen basierender Weiterbildung unterstützen. Ideal: Lernen zu jeder Zeit an jedem Ort.

Illustration: Lena Westphal
Quelle: Ina Westphal, Tatjana Wiedemann, eigene Darstellung


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